Freitag, 25. Januar 2013

Zeitreise in die „Roaring Twenties“

„Midnight in Paris“ ist Woody Allens  leichteste  Komödie seit langem


„Ein Urlaub ohne Arbeit ist ein Urlaub ohne Vergnügen“, lautet Woody Allens  Credo. Nur so ist es nachvollziehbar, dass der schon zu Lebzeiten legendäre New Yorker Regisseur („Manhattan“, „Match Point“, „Vicky Cristina Barcelona“) seinen 42. Kinofilm abgeliefert hat. Beeindruckend: Jedes Jahr gibt es einen bis zwei neue Allens. Der Qualität seiner Werke tut das überhaupt keinen Abbruch. Selbst ein mittelmäßiger Film von ihm  ist noch besser als die Ergüsse von 97 Prozent seiner Kollegen. Für die Idee zu „Midnight in Paris”, in dem die einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts wie Pablo Picasso, Ernest Hemingway, Luis Buñuel und  Man Ray wieder auferstehen, müssen  die Musen Allen geradezu geknutscht haben. Es ist seine pfiffigste Komödie seit langem, die einem beim Zuschauen ein breites  Grinsen auf die Lippen zaubert –  eine formidable Glückspille gegen  Verstimmungen.
Welcher Ort für diese poetische Fantasie d’amour könnte  besser geeignet sein als Paris? In die Stadt der Liebe  begleitet der amerikanische Drehbuchautor Gil (Owen Wilson)  seine oberflächliche, zickige  Verlobte Inez (Rachel Mc  Adams), Tochter aus reichem Haus,  und deren konservative Eltern, die ihren Schwiegersohn in spe nicht ausstehen können. „Ein Kommunist“, krittelt Inez’ Vater John (Kurt Fuller). Gil kontert mit Spitzen gegen die Tea-Party-Bewegung.
Gil ist selbstverständlich ein typischer Woody-Allen-Charakter, den der mittlerweile 75-jährige Stadtneurotiker vor Jahren noch selbst gespielt hätte: naiv, träumerisch, ein wenig linkisch, aber sympathisch und eloquent, wenn es darum geht, über seine Ängste und Wünsche zu sprechen.

Obwohl in Hollywood erfolgreich, möchte Gil lieber ein berühmter Schriftsteller sein. Anders als Allen, haben ihn die Musen bisher nicht geküsst: Noch immer doktert er an seinem ersten Roman herum. Jetzt beflügelt die Magie der französischen Metropole  Gil in sein künstlerisches Schaffen. Davon will Inez nichts wissen, die ihren Verlobten für einen Träumer hält. Während sie eines Abends mit ihren Freunden tanzen geht, macht sich Gil allein auf den Weg, um Paris auf sich wirken zu lassen. Als er sich müde auf einer Treppe niederlässt und es 12 Uhr Mitternacht schlägt, nähert sich plötzlich ein Oldtimer. Die ausgelassenen Insassen fordern  Gil auf, einzusteigen und der Wagen bringt sie zu einer Bar, in der  Scott (Tom Hiddleston) und Zelda Fitzgerald (Alison Pil) feiern, während Cole Porter am Klavier sitzt. Da dämmert es Gil, dass er sich im  Paris der 20er Jahre, in den „Roaring Twenties“ befindet.
Allen erklärt nicht, durch welchen Zauber das geschehen ist. Auch dass der Spuk morgens vorbei ist und am Abend die Zeitreise von Neuem beginnt, ist so hinzunehmen –  Gils Frau glaubt ihm kein Wort. Dafür schlagen Allens Einfälle Kapriolen, denn die legendären Künstler der „Lost Generation“ lassen den unbekannten Drehbuchautoren nicht einfach links liegen, sondern schenken ihm ihre volle Aufmerksamkeit.
Fitzgerald macht Gil mit Gertrude Stein (großartig: Kathy Bates) bekannt, die sich bereit erklärt, seinen Roman zu lesen und ihm wichtige Tipps gibt. Er trifft auf Hemingway (bärbeißig: Corey Stoll), der ganz der Macho ist, wie er in zahlreichen  Essays beschrieben wird, und auf einen eitlen Dali (genial: Adrien Brody). Dann verliebt sich Gil in  Picassos Muse Adriana (wie immer zum Niederknien: Marion Cotillard) und der Himmel hängt voller Geigen.
Im Spannungsfeld zwischen Fakt und Fiktion spielt Allen bei der Charakterisierung der berühmten Künstleridole mit deren Mythen, dass es das reinste Vergnügen ist, und er nimmt sich  manche Freiheit heraus: In einer Szene schlägt Gil dem jungen Buñuel, dem späteren Meisterregisseur des Surrealen („Der andalusische Hund“), eine Idee für einen Film vor. Doch Buñuel ist  schwer von Begriff.
Man muss die Biografien der Künstler nicht kennen, um an „Midnight in Paris“ seine  Freude zu haben. Allen und  Kameramann Darius Khondji („Sieben“) lassen die europäische Metropole in einem Glanz erstrahlen, selbst wenn es in der Stadt  regnet.  Und ganz nebenbei verhilft Allen Carla Bruni-Sarkozy, Frankreichs First Lady, zu einem Gastauftritt.

René Erdbrügger

Herausragend


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