Sonntag, 23. Dezember 2012

Götterdämmerung in Gotham City

Der Amoklauf in den USA überschattet auch die Deutschlandpremiere von „The Dark Knight Rises“


Weltuntergangsstimmung in Gotham City:  Gerade erst hat ein Junge die amerikanische Nationalhymne andächtig  in einem Football-Stadion gesungen, da tut sich wenige Augenblicke später der Boden unter den Füßen der Spieler auf. Die Sportler versinken im Abgrund. Aus einer Totalen auf die Stadt sehen wir, wie Brücken im Sekundentakt in die Luft gesprengt werden. Von einem Stars-and-Stripes-Banner sind nur noch Fetzen übrig. In „The Dark Knight Rises“, dem Abschluss der „Batman“-Trilogie, setzt der vor Kraft strotzende  Terrorist Bane (Tom Hardy; „Warrior“)   einem physisch wie psychisch angeschlagenen Batman (Christian Bale; „The Fighter“) mächtig zu. Gotham City scheint dem Untergang geweiht.
Mit solchen apokalyptischen Bildern spielt Regisseur Christopher Nolan (42, „Inception“), der mit seinem Bruder Jonathan Nolan auch das Drehbuch schrieb,  ganz bewusst mit den latenten Ängsten eines durch 9/11 traumatisierten Publikums.  Während  für die „Batman“-Adaptionen von Tim Burton in den 1980er Jahren Gotham City als neogotische Metropole architektonisch auf dem Reißbrett entworfen wurde, wählte Nolan als urbane Drehorte Pittsburgh, Los Angeles und New York, ohne sie groß zu verfremden.
Die Fiktion als Spiegelbild der realen Welt, in der Gewalttäter von einem Augenblick zum anderen zuschlagen können und Chaos auslösen.  Dazu hätte es keines Beweises bedurft. Aber wieder einmal holte die Realität  die Fiktion ein: Bei einem Amoklauf in einem Kino in Aurora, einem Vorort von Denver, wo der neue „Batman“ gezeigt wurde, starben vergangene Woche zwölf Menschen. Über das Motiv des Täters herrscht noch Unklarheit. Schon der zweite Teil der „Batman“-Trilogie  war überschattet vom Tod des Joker-Darstellers Heath Ledger, der im Alter von 28 Jahren an einer Medikamenten-Überdosis starb. 
Verrat, Verrohung, Verwüstung – die bekannten Zentralmotive aus den vorangegangenen beiden Teilen,  „Batman Begins“ (2005)  und „The Dark Knight“ (2008), bestimmen auch den düsteren Ton in „The Dark Knight Rises“, doch  Nolan setzt im Vergleich zu den schon fantastischen Vorgängern  an Erzählkunst,  Bildgewalt und Emotionalität noch  eins drauf.
Zugegeben: Es ist ein Monster von einem Film, in dem die Action-Szenen der Handlung allerdings untergeordnet sind. Sein 164 Minuten langes, oft Gänsehaut erzeugendes episches Actiondrama mit Film-Noir-Elementen,  gestochen scharf und atmosphärisch von Kameramann Wally Phister („Inception) eingefangen, fordert deshalb auch höchste Aufmerksamkeit.  Spektakulär schon die ersten Minuten: In der Eröffnungssequenz  à la James Bond kapert Bane ein Flugzeug, um einen Atomphysiker zu entführen. Die Maschine wird in der Luft zerrissen. Von Batman alias Bruce Wayne  ist am Anfang indes nicht viel zu sehen. Langsam spinnt Nolan die erzählerischen Fäden. Alte, lieb gewonnene  Figuren treten auf wie Batmans Butler Alfred (Michael Caine), Lucius Fox (Morgan Freeman), der den Fledermausmann wieder mit technischen Gimmicks ausrüstet, und Commissioner Gordon (Gary Oldman).
Neu dabei sind die mysteriöse, unterkühlte  Millionärin Miranda Tate (Marion Cotillard), der junge, idealistische Polizist John Blake (Joseph Gordon-Levitt) und Anne Hathaway („Der Teufel trägt Prada“),  die eine betörende wie ungewöhnliche Interpretation der Catwoman hinlegt: sexy und zickig.   Und der Bösewicht Bane?  Der Schauspieler Tom Hardy versucht erst gar nicht, in die Fußstapfen des 2008 verstorbenen Heath Ledger zu treten, der für seine Rolle als durchgeknallter Joker von der Kritik gefeiert wurde und posthum einen Oscar erhielt. Hardy spielt den Widersacher mit seiner beeindruckenden Physis, der optisch und auch akustisch wie  eine Mischung aus Hannibal Lecter und Darth Vader daherkommt. Die maulkorbartige Ledermaske auf seinem vernarbten Gesicht verleiht ihm  etwas Animalisches, was dem Subtext der Story geschuldet ist: Wie eine Ratte lebt Bane mit seinen Schergen in der Kanalisation von Gotham City,  aus der er sich schließlich erhebt, weil er die Stadt mit einer Atombombe in Schutt und Asche legen will.
Nolans elegante Inszenierung weckt besonders bei diesem Feldzug Assoziationen an aktuelle politische  und geschichtliche Ereignisse:  Wenn Bane, der sich den Massen als heilsbringender Anarchist verkauft,  zunächst das Finanzsystem lahm legt, erinnert das an die  Occupy-Bewegung, wenn er Tausende von wütenden Schwerverbrechern aus dem Gefängnis  befreit  an den Sturm auf die Bastille. Überhaupt: Nolan spielt fiktiv  einen Modellversuch  durch, der zeigt, wie  leicht eine demokratische Gesellschaft ausgehebelt werden kann, wenn Kontrollmechanismen nicht mehr funktionieren, sei es aus Habgier oder Gleichgültigkeit.
Höchste Zeit also, dass sich der dunkle Ritter wieder erhebt, wie der Filmtitel es  verspricht.  Doch  Batman/Wayne ist eine zerrissene, an sich zweifelnde Persönlichkeit, dessen Kampf gegen das Böse seinen Tribut gefordert hat.  Der misanthropische Milliardär ist ein Wrack und  geht am Stock. Nicht einen einzigen Knorpel hat er mehr in den Knien. So treibt Nolan die Dekonstruktion des Heldenmythos weiter voran, bevor er Batman nach seiner letzten großen Schlacht endlich in Rente schickt. 
 René Erdbrügger

Bewertung: Herausragend

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