„Ein Urlaub ohne
Arbeit ist ein Urlaub ohne Vergnügen“, lautet Woody
Allens Credo. Nur so ist es nachvollziehbar, dass der schon zu
Lebzeiten legendäre New Yorker Regisseur („Manhattan“, „Match Point“,
„Vicky Cristina Barcelona“) seinen 42. Kinofilm abgeliefert hat.
Beeindruckend: Jedes Jahr gibt es einen bis zwei neue Allens.
Der Qualität seiner Werke tut das überhaupt keinen Abbruch. Selbst ein
mittelmäßiger Film von ihm ist noch besser als die Ergüsse von 97
Prozent seiner Kollegen. Für die Idee zu „Midnight in Paris”, in dem die
einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts
wie Pablo Picasso, Ernest Hemingway, Luis Buñuel und Man Ray wieder
auferstehen, müssen die Musen Allen geradezu geknutscht haben. Es ist
seine pfiffigste Komödie seit langem, die einem beim Zuschauen ein
breites Grinsen auf die Lippen zaubert – eine formidable
Glückspille gegen Verstimmungen.
Welcher Ort für diese poetische Fantasie d’amour
könnte besser geeignet sein als Paris? In die Stadt der Liebe
begleitet der amerikanische Drehbuchautor Gil (Owen Wilson) seine
oberflächliche, zickige Verlobte Inez (Rachel Mc Adams),
Tochter aus reichem Haus, und deren konservative Eltern, die ihren
Schwiegersohn in spe nicht ausstehen können. „Ein Kommunist“, krittelt
Inez’ Vater John (Kurt Fuller). Gil kontert mit Spitzen gegen die
Tea-Party-Bewegung.
Gil ist selbstverständlich ein typischer
Woody-Allen-Charakter, den der mittlerweile 75-jährige Stadtneurotiker
vor Jahren noch selbst gespielt hätte: naiv, träumerisch, ein wenig
linkisch, aber sympathisch und eloquent, wenn es darum geht,
über seine Ängste und Wünsche zu sprechen.
Obwohl in Hollywood erfolgreich, möchte Gil lieber ein berühmter Schriftsteller sein. Anders als Allen, haben ihn die Musen bisher nicht geküsst: Noch immer doktert er an seinem ersten Roman herum. Jetzt beflügelt die Magie der französischen Metropole Gil in sein künstlerisches Schaffen. Davon will Inez nichts wissen, die ihren Verlobten für einen Träumer hält. Während sie eines Abends mit ihren Freunden tanzen geht, macht sich Gil allein auf den Weg, um Paris auf sich wirken zu lassen. Als er sich müde auf einer Treppe niederlässt und es 12 Uhr Mitternacht schlägt, nähert sich plötzlich ein Oldtimer. Die ausgelassenen Insassen fordern Gil auf, einzusteigen und der Wagen bringt sie zu einer Bar, in der Scott (Tom Hiddleston) und Zelda Fitzgerald (Alison Pil) feiern, während Cole Porter am Klavier sitzt. Da dämmert es Gil, dass er sich im Paris der 20er Jahre, in den „Roaring Twenties“ befindet.
Allen erklärt nicht, durch welchen Zauber das
geschehen ist. Auch dass der Spuk morgens vorbei ist und am Abend die
Zeitreise von Neuem beginnt, ist so hinzunehmen – Gils Frau glaubt ihm
kein Wort. Dafür schlagen Allens Einfälle Kapriolen,
denn die legendären Künstler der „Lost Generation“ lassen den
unbekannten Drehbuchautoren nicht einfach links liegen, sondern schenken
ihm ihre volle Aufmerksamkeit.
Fitzgerald macht Gil mit Gertrude
Stein (großartig: Kathy Bates) bekannt, die sich bereit erklärt, seinen
Roman zu lesen und ihm wichtige Tipps gibt. Er trifft auf Hemingway
(bärbeißig: Corey Stoll), der ganz der Macho ist,
wie er in zahlreichen Essays beschrieben wird, und auf einen eitlen
Dali (genial: Adrien Brody). Dann verliebt sich Gil in Picassos Muse
Adriana (wie immer zum Niederknien: Marion Cotillard) und der Himmel
hängt voller Geigen.
Im Spannungsfeld zwischen Fakt und Fiktion spielt
Allen bei der Charakterisierung der berühmten Künstleridole mit deren
Mythen, dass es das reinste Vergnügen ist, und er nimmt sich manche
Freiheit heraus: In einer Szene schlägt Gil dem
jungen Buñuel, dem späteren Meisterregisseur des Surrealen („Der
andalusische Hund“), eine Idee für einen Film vor. Doch Buñuel ist
schwer von Begriff.
Man muss die Biografien der Künstler nicht kennen,
um an „Midnight in Paris“ seine Freude zu haben. Allen und Kameramann
Darius Khondji („Sieben“) lassen die europäische Metropole in einem
Glanz erstrahlen, selbst wenn es in der Stadt
regnet. Und ganz nebenbei verhilft Allen Carla Bruni-Sarkozy,
Frankreichs First Lady, zu einem Gastauftritt.
René Erdbrügger
Herausragend
René Erdbrügger
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