Veranstalter
Detlef Westphal holt Bands aus der ganzen Welt ins Quickborner Kamphuis
Detlef Westphal und sein geliebter VW-Bus. Foto: Erdbrügger |
Von außen ein Wohnhaus, aber innen drin wird abends gerockt: Das Kamphuis. Foto: Erdbrügger |
Detlef
Westphal lässt sich nicht lange bitten. Um eine Anekdote ist er nie
verlegen. Die folgende Geschichte erzählt
er mit einem verschmitzten Lächeln auf
den Lippen. Sie handelt von einem
Niederländer, der im Quickborner Kamphuis
ein Konzert besuchen wollte. Mit dem
Auto machte dieser sich auf den Weg nach Schleswig-Holstein. Per Navi erreichte
der Mann aus Rotterdam nach stundenlanger Autofahrt die Kampstraße. Doch der Blues-Fan traute seinen Augen nicht. Völlig unerwartet stand
er vor einem weißen, unscheinbaren Einfamilienhaus
mitten in einer ruhigen Wohnsiedlung. Seine
ersten, panischen Gedanken: „Hier kann doch
kein Konzert stattfinden. Hier bin ich doch total verkehrt. “
Ortskundige
wissen längst, dass er hier genau richtig war. Wenn es auch unglaublich klingt:
In dem kleinen Gebäude ist die Musikkneipe
Nummer eins im Kreis Pinneberg untergebracht: das Kamphuis. Auf Hochdeutsch: Das
Haus an der Kampstraße. Gebaut wurde es wohl Anfang der 70er Jahre. Im oberen Stockwerk wohnen jetzt die derzeitigen
Pächter Olaf und Kristina Pralle. Abends stehen sie im Erdgeschoss am Tresen
und bewirten die Gäste. Die Post geht in dem nur zirka 70 Quadratmeter großen
Pub, in dem außer acht Biersorten vom Fass sowie edlen Whiskeysorten auch Guinness serviert wird und wo noch geraucht werden darf, an den Wochenenden so richtig ab, wenn die Bluesrock-Elite
aus der großen weiten Welt dort in die Saiten ihrer Gitarren greift. Dann
ergötzt sich das bunt gemischte Publikum an den mal rauen, mal swingenden
Klängen. Dann sitzt oder steht der Büroangestellte im feinen Anzug neben dem
Altrocker in abgewetzter Jeans und T-Shirt.
Dass das Kamphuis
in der internationalen Szene einen exzellenten Ruf hat, ist Detlef Westphal zu
verdanken. Der Quickborner ist für das Veranstaltungsprogramm verantwortlich,
dem er im Laufe der Jahre seinen Stempel aufgedrückt hat. 2002 kam Westphal auf den Gedanken, aus dem
Lokal eine Musikkneipe zu machen. Seine Überlegung: „Das Kamphuis ist zwar
klein, aber urig und hat eine tolle Atmosphäre. Hier können auch Bands
auftreten.“ Mit seinen Plänen stieß er bei der damaligen Pächterin auf
offene Ohren. Der Rest ist eine jetzt neuneinhalb Jahre währende
Erfolgsgeschichte.
„Mit
Amateurbands sind wir angefangen, aber
wir haben das Niveau und die Qualität ständig angehoben“, resümiert er. Mit
der Arbeit als Veranstalter für das
Kamphuis hat sich der 64-Jährige einen großen
Traum erfüllt. Es ist allerdings nur eine Tätigkeit in einer beachtlichen Reihe von Jobs, die Westphal ausgeübt hat. Er
ist das, was der Volksmund einen Tausendsassa nennt. „Ich habe drei
Ausbildungen gemacht“, sagt er stolz.
Der
gebürtige Itzehoer, der seit 1954 in Quickborn lebt, erlernte zunächst in
Haseldorf den Beruf des Bootsbauers, obwohl er zur See fahren wollte. „Aber
mein Vater hatte es mir verboten. Ich sollte erst einen anständigen Beruf
erlernen.“ Lange sollte er nicht in dem Job arbeiten. Sein „alter Herr“ wurde
schwer krank und bat ihn, den Familienbetrieb in Quickborn zu übernehmen. Westphal ließ sich nicht lange
bitten und machte seinen Maler-und Lackierer-Meisterbrief. „Das war aber nicht so meine Welt“, verrät
Westphal, weswegen er nach seiner Scheidung in den 80er Jahren zu sich sagte:
„Ich bin ein bunter Hund und möchte nur noch das machen, worauf ich Bock habe.“
Und große Lust
hatte Westphal immer schon auf Musik. „In
meiner Jugend gab es keine Diskos. Es wurde Live-Musik gespielt. Ich habe immer schon die Bands bewundert.“ Von
heute auf morgen sprang er ins kalte Wasser: Westphal begann, im norddeutschen Raum selbst zahlreiche
Live-Acts zu veranstalten. „Ein Traum ging für mich in Erfüllung“, sagt er.
An diese Zeit denkt er heute noch gern zurück,
weil der Erfolg nicht lange auf sich warten ließ und ihn darin bestätigte, das
Richtige getan zu haben. Der Kontakt mit den Musikern animierte ihn schließlich,
selbst Musik zu machen. Westphal lernte, die Bluesharp zu spielen - eine Mundharmonika, die dem Blues erst den
typischen Sound gibt. Ein Tipp: Wer wissen möchte, wie toll dieses Instrument
klingt, sollte sich mal den Song „The River“ von Bruce Springsteen anhören.
Erfolg hin
oder her: Angekommen war Westphal immer
noch nicht. Wieder schlug er ein neues Kapitel in seinem Leben auf. Endlich
konnte er sich nämlich einen Traum erfüllen und zur See fahren. Er heuerte als Discjockey auf
dem Kreuzfahrtschiff Maxim Gorkiy an und legte im Nachtclub Oldies für die
Passagiere auf. Während das Schiff in den jeweiligen Häfen vor Anker lag, schaute
er sich die ganze Welt an. „86 Länder. Von Alaska bis Kap Horn“, berichtet er.
Nach acht
Jahren fand Westphal jedoch, dass es jetzt ein guter Zeitpunkt war, mit seiner
Arbeit als Discjockey aufzuhören: „Ich wollte nicht der zweite Johannes
Heesters werden, zu dem die Leute hinter
vorgehaltener Hand sagen: Was will der alte Knacker hier?“ Noch einmal wurden
die Karten neu gemischt. Der Ruhelose hatte in der Zwischenzeit die SAE-Tontechniker-Schule in
Hamburg absolviert. Es folgte ein Job als Tontechniker auf der Aida.
Seit 1997 gehört
Westphal zu den glücklichen Menschen, die von zu Hause aus arbeiten können.
Dafür baute er einen Teil seines Hauses
zum Tonstudio um und gründete den Moin-Moin-Verlag. Den Schwerpunkt seiner
Arbeit legte er auf die Restauration alter Tondokumente. Eine kaum mehr zu
verstehende Rede vom Kaiser Wilhelm auf einer verkratzten Schelllackplatte – mit Westphals Knowhow wird sie wieder hörbar. Alte
Aufnahmen von Orchestern? Kein Problem. Nachdem sie der Quickborner mit seiner
Software vom Brummen, Rauschen und Rumpeln befreit hat, klingen sie, als seien sie
gestern aufgenommen worden. Musiker des NDR und Schauspieler vom Ohnsorg-Theater
bekamen von seinen Fertigkeiten schnell Wind und gehörten zu seinen Kunden, denn sie besaßen noch Unmengen alter, ramponierter
Tonträger. Aber auch der Normalbürger kam mit seinen alten Schallplatten und
Tonbändern zu Westphal.
Sein zweites Standbein war die Produktion und
das Einspielen von zahlreichen Hörbüchern auf Plattdeutsch. „Es ist eine schöne
Sprache und kein Dialekt. Wenn man über schlechtes Wetter auf Plattdeutsch
berichtet, hört sich das halb so schlimm an wie auf Hochdeutsch“, sagt er. Auch
Kinderlieder umfasste sein Verlagsprogramm. Und selbstverständlich mischte er
in dem Tonstudio die Platten seiner ehemaligen Band, den „Road Dogs“, ab. Die
Gruppe, deren Markenzeichen erdiger Blues-Rock war, hat heute noch einen
legendären Ruf, nachdem sie ihr Können während ihrer Auftritte als Vorband von „Lotto
King Karl“ und „Torfrock“ im Quickborner
Holstenstadion unter Beweis stellte.
Kein Wunder,
dass sich Westphals Liebe zum Blues auch im Veranstaltungsprogramm des Kamphuis widerspiegelt:
Pop-und Diskomucke, Rave und Rap haben
keine Chance. „Die heutige Musik kommt vielfach aus dem Computer. Alles hört
sich gleich an und ist musikalisch austauschbar, beliebig und belanglos“, fasst
er die Qualität in der heutigen
Musiklandschaft harsch zusammen.
Anders
hingegen der Blues-Rock. Da gerät Westphal, der eingefleischter „Rolling-Stones“-Fan
ist, wovon ein Sticker mit der berühmten Zunge vom Cover der LP „Sticky
Fingers“ am Revers seiner alles geliebten schwarzen
Lederweste Zeugnis gibt, ins Schwärmen: „Die Stones haben mit Bluesmusik angefangen. Der Blues ist eine
gefühlvolle Sache. Er ist auf den
Baumwollfeldern im Süden der USA Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und wurde
von den Sklaven gesungen. Sie sangen nicht für Geld, sondern aus der Not
heraus“, beschreibt er diese Musikrichtung.
Für
diese Authentizität stehen auch die
Bands, die im Kamphuis bislang aufgetreten sind. Das Kriterium: Sie müssen
Westphal gefallen. Wie einst der
Schriftsteller Oscar Wilde hat der
Quickborner einen ganz einfachen Geschmack: Ihm gefällt eben nur das Beste. Dazu
gehören nun mal John Campbelljohn aus Kanada, der Amerikaner Todd Wolfe, der
früher bei Sheryl Crow mitmischte, Jason Buie aus Vancouver, die Band „Vdelli“ aus Australien und die englischen
Shooting-Stars „The Brew“. Der Ex-„Leningrad-Cowboy“, Ben Granfelt, spielte in
der Musikkneipe genauso wie Marcus Deml,
der zu den besten Gitarristen der Welt zählt. Besonders stolz ist Westphal auf
einen Auftritt des „Giant of Blues“ Louisiana Red (79). „Er hat als Kind noch
Baumwolle gepflückt“, weiß Westphal. Authentischer könne es gar nicht sein. Als weiteren musikalischen
Leckerbissen erwartet das Kamphuis-Team die „Kris Pohlmann Band“ zum zweiten
Mal, die 2006 als beste Rhythm ´n` Blues-Gruppe Deutschlands ausgezeichnet
wurde.
„Viele Musiker kennen sich alle untereinander.
Sie machen Mundpropaganda. Da sagt dann der eine zum anderen: Du musst
unbedingt mal im Kamphuis gespielt haben. Das ist ein toller Laden. Dafür
nehmen sie sogar niedrigere Gagen in Kauf“, verrät Westphal. Gefragt, was denn so besonders an der Kneipe sei, antworteten die Musiker sofort:
die Akustik und die Atmosphäre, berichtet der Veranstalter.
Kurios: Warum
der Sound in der Kneipe so gut ist, dafür habe bisher niemand eine Erklärung
gefunden. Für das hervorragende Feeling indes schon. Wer mal bei einem Konzert dabei war, kann es sich
leicht denken. Es hängt damit zusammen, dass es in dem Lokal keine Bühne gibt.
„Wenn eine Band auftritt, räumen wir ein paar Tische weg. Eine PA-Anlage
stellen wir zur Verfügung. Die Musiker müssen nur ihre Instrumente mitbringen. Schon geht es los“,
erklärt Westphal, der jedes Mal am Mischpult steht. Diese Intensität würden die Bands auf keiner großen Bühne dieser Welt erleben. In
der Tat: Wer an der einen Seite des Tresens sitzt, bräuchte nur seine Hand auszustrecken,
um den Musikern auf die Schulter zu
klopfen.
Diese
besondere Atmosphäre führt dazu, dass ein Schlagzeuger schon mal ein
20-minütiges Soli hinlegt oder die Bandmitglieder sich in den Pausen unter die
Gäste mischen, um zu fachsimpeln. „Das kommt bei uns häufiger vor“, sagt Westphal.
Und auch, dass der Veranstalter bei den Bands selbst mitspielt.
Aber stört
der Lärm die Nachbarn nicht? „Mit denen
gab es bisher überhaupt keinen Stress. Bei Open-Air-Konzerten feiern sie mit.“ Dennoch hat der Inhaber kürzlich in den
Lärmschutz kräftig investiert. „Es ist jetzt minimal, was nach draußen
geht. Die Flugzeuge, die über uns hinwegfliegen,
sind lauter“, weiß Westphal.
Auch wenn es
für ihn derzeit sehr gut läuft, will er kürzer treten. Sein Verlag steht kurz vor der Auflösung.
„Das Leben hat noch etwas Anderes zu bieten“, sagt er. So steht unter dem
Carport auf seinem Grundstück ein alter, wunderschöner VW-Bus. Seine zweite Frau und er wollen mit dem Oldtimer,
der etwa 650 000 Kilometer auf dem Buckel hat,
wieder auf große Reise gehen. „Von Korsika nach Schweden. Doch wir
wollen den Radius erweitern“, sagt Westphal.
Bei einer
Sache bleibt er aber am Ball. „Das Kamphuis und die Live-Musik sind mein
Herzblut. Das werde ich so lange machen, wie ich `krauchen‘ kann.“ Westphal wird also weiterhin die Bluesbands
nach Quickborn holen. Für solche Fans, wie den anfangs erwähnten Rotterdamer,
der dann doch herausfand, dass die Adresse stimmte. Später schickte der Niederländer
Westphal eine E-Mail, in der er das
Konzert in den höchsten Tönen lobte. Aber darüber, dass die kleine, aber
urige Musikkneipe in einem Wohnhaus
untergebracht ist, wundert er sich heute
noch.
René Erdbrügger
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