Sonntag, 6. Januar 2013

Porträt: Sein Herz schlägt im Takt der Bluesmusik


Veranstalter Detlef Westphal holt Bands aus der ganzen Welt ins Quickborner Kamphuis

Detlef Westphal und sein geliebter VW-Bus. Foto: Erdbrügger
Von außen ein Wohnhaus, aber innen drin wird abends  gerockt: Das Kamphuis. Foto: Erdbrügger
Detlef Westphal  lässt sich nicht lange bitten. Um eine Anekdote ist er nie verlegen.  Die folgende Geschichte erzählt er  mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.  Sie handelt von einem Niederländer, der im Quickborner Kamphuis  ein Konzert  besuchen wollte. Mit dem Auto machte dieser sich auf den Weg nach Schleswig-Holstein. Per Navi erreichte der Mann aus Rotterdam nach stundenlanger Autofahrt  die Kampstraße. Doch der Blues-Fan  traute seinen Augen nicht. Völlig unerwartet stand  er vor einem weißen, unscheinbaren Einfamilienhaus mitten in einer ruhigen Wohnsiedlung.  Seine ersten, panischen  Gedanken: „Hier kann doch kein Konzert stattfinden. Hier bin ich doch total verkehrt. “
Ortskundige wissen längst, dass er hier genau richtig war. Wenn es auch unglaublich klingt:  In dem kleinen Gebäude ist die Musikkneipe Nummer eins im Kreis Pinneberg untergebracht: das Kamphuis. Auf Hochdeutsch: Das Haus an der Kampstraße. Gebaut wurde es wohl  Anfang der 70er Jahre.  Im oberen Stockwerk wohnen jetzt die derzeitigen Pächter Olaf und Kristina Pralle. Abends stehen sie im Erdgeschoss am Tresen und bewirten die Gäste. Die Post geht in dem nur zirka 70 Quadratmeter großen Pub, in dem außer acht Biersorten vom Fass sowie edlen Whiskeysorten auch  Guinness serviert wird und wo noch  geraucht werden darf,  an den Wochenenden so richtig ab, wenn die Bluesrock-Elite aus der großen weiten Welt dort in die Saiten ihrer Gitarren greift. Dann ergötzt sich das bunt gemischte Publikum an den mal rauen, mal swingenden Klängen. Dann sitzt oder steht der Büroangestellte im feinen Anzug neben dem Altrocker in abgewetzter Jeans und T-Shirt.
Dass das Kamphuis in der internationalen Szene einen exzellenten Ruf hat, ist Detlef Westphal zu verdanken. Der Quickborner  ist  für das Veranstaltungsprogramm verantwortlich, dem er im Laufe der Jahre seinen Stempel aufgedrückt hat.  2002 kam Westphal auf den Gedanken, aus dem Lokal eine Musikkneipe zu machen. Seine Überlegung: „Das Kamphuis ist zwar klein, aber urig und hat eine tolle Atmosphäre. Hier können auch Bands auftreten.“  Mit seinen Plänen  stieß er bei der damaligen Pächterin auf offene Ohren. Der Rest ist eine jetzt neuneinhalb Jahre währende Erfolgsgeschichte.
„Mit Amateurbands sind  wir angefangen, aber wir haben das Niveau und die Qualität ständig angehoben“, resümiert er. Mit der  Arbeit als Veranstalter für das Kamphuis hat sich der 64-Jährige  einen großen Traum erfüllt. Es ist allerdings nur eine Tätigkeit in einer beachtlichen  Reihe von Jobs, die Westphal ausgeübt hat. Er ist das, was der Volksmund einen Tausendsassa nennt. „Ich habe drei Ausbildungen gemacht“, sagt er stolz.
Der gebürtige Itzehoer, der seit 1954 in Quickborn lebt, erlernte zunächst in Haseldorf den Beruf des Bootsbauers, obwohl er zur See fahren wollte. „Aber mein Vater hatte es mir verboten. Ich sollte erst einen anständigen Beruf erlernen.“ Lange sollte er nicht in dem Job arbeiten. Sein „alter Herr“ wurde schwer krank und bat ihn, den Familienbetrieb in Quickborn  zu übernehmen. Westphal ließ sich nicht lange bitten und machte seinen Maler-und Lackierer-Meisterbrief.  „Das war aber nicht so meine Welt“, verrät Westphal, weswegen er nach seiner Scheidung in den 80er Jahren zu sich sagte: „Ich bin ein bunter Hund und möchte nur noch das machen, worauf ich Bock habe.“
Und große Lust hatte Westphal  immer schon auf Musik. „In meiner Jugend gab es keine Diskos. Es wurde Live-Musik gespielt. Ich habe  immer schon die  Bands bewundert.“   Von heute auf morgen sprang er ins kalte Wasser: Westphal  begann, im norddeutschen Raum selbst zahlreiche Live-Acts zu veranstalten. „Ein Traum ging für mich in Erfüllung“, sagt er.
 An diese Zeit denkt er heute noch gern zurück, weil der Erfolg nicht lange auf sich warten ließ und ihn darin bestätigte, das Richtige getan zu haben. Der Kontakt mit den Musikern animierte ihn schließlich, selbst Musik zu machen. Westphal lernte,  die Bluesharp  zu spielen -  eine Mundharmonika, die dem Blues erst den typischen Sound gibt. Ein Tipp: Wer wissen möchte, wie toll dieses Instrument klingt, sollte sich mal den Song „The River“ von Bruce Springsteen anhören.
Erfolg hin oder her:  Angekommen war Westphal immer noch nicht. Wieder schlug er ein neues Kapitel in seinem Leben auf. Endlich konnte er sich nämlich einen Traum erfüllen und  zur See fahren. Er heuerte als Discjockey auf dem Kreuzfahrtschiff Maxim Gorkiy an und legte im Nachtclub Oldies für die Passagiere auf. Während das Schiff in den jeweiligen Häfen vor Anker lag, schaute er sich die ganze Welt an. „86 Länder. Von Alaska bis Kap Horn“, berichtet er.
Nach acht Jahren fand Westphal jedoch, dass es jetzt ein guter Zeitpunkt war, mit seiner Arbeit als Discjockey aufzuhören: „Ich wollte nicht der zweite Johannes Heesters werden,  zu dem die Leute hinter vorgehaltener Hand sagen: Was will der alte Knacker hier?“ Noch einmal wurden die Karten neu gemischt. Der Ruhelose hatte in der Zwischenzeit  die SAE-Tontechniker-Schule   in Hamburg absolviert. Es folgte ein Job als Tontechniker auf der Aida.
Seit 1997 gehört Westphal zu den glücklichen Menschen, die von zu Hause aus arbeiten können. Dafür  baute er einen Teil seines Hauses zum Tonstudio um und gründete den Moin-Moin-Verlag. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legte er auf die Restauration alter Tondokumente. Eine kaum mehr zu verstehende Rede vom Kaiser Wilhelm auf einer verkratzten Schelllackplatte –  mit Westphals Knowhow wird sie wieder hörbar. Alte Aufnahmen von Orchestern? Kein Problem. Nachdem sie der Quickborner mit seiner Software vom Brummen, Rauschen und Rumpeln  befreit hat, klingen sie, als seien sie gestern aufgenommen worden. Musiker des NDR und Schauspieler vom Ohnsorg-Theater bekamen von seinen Fertigkeiten schnell Wind und gehörten zu seinen  Kunden, denn sie besaßen noch Unmengen alter, ramponierter Tonträger. Aber auch der Normalbürger kam mit seinen alten Schallplatten und Tonbändern zu Westphal.
 Sein zweites Standbein war die Produktion und das Einspielen von zahlreichen Hörbüchern auf Plattdeutsch. „Es ist eine schöne Sprache und kein Dialekt. Wenn man über schlechtes Wetter auf Plattdeutsch berichtet, hört sich das halb so schlimm an wie auf Hochdeutsch“, sagt er. Auch Kinderlieder umfasste sein Verlagsprogramm. Und selbstverständlich mischte er in dem Tonstudio die Platten seiner ehemaligen Band, den „Road Dogs“, ab. Die Gruppe, deren Markenzeichen erdiger Blues-Rock war, hat heute noch einen legendären Ruf, nachdem sie ihr Können während ihrer Auftritte als Vorband von „Lotto King Karl“ und „Torfrock“  im Quickborner Holstenstadion unter Beweis stellte.
Kein Wunder, dass sich Westphals Liebe zum Blues auch  im Veranstaltungsprogramm des Kamphuis widerspiegelt: Pop-und Diskomucke, Rave und  Rap haben keine Chance. „Die heutige Musik kommt vielfach aus dem Computer. Alles hört sich gleich an und ist musikalisch austauschbar, beliebig und belanglos“, fasst er die Qualität  in der heutigen Musiklandschaft harsch zusammen.
Anders hingegen der Blues-Rock. Da gerät Westphal, der eingefleischter „Rolling-Stones“-Fan ist, wovon ein Sticker mit der berühmten Zunge vom Cover der LP „Sticky Fingers“  am Revers  seiner alles geliebten schwarzen Lederweste  Zeugnis gibt,  ins Schwärmen: „Die Stones haben  mit Bluesmusik angefangen. Der Blues ist eine gefühlvolle Sache. Er  ist auf den Baumwollfeldern im Süden der USA Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und wurde von den Sklaven gesungen. Sie sangen nicht für Geld, sondern aus der Not heraus“, beschreibt er diese Musikrichtung.
Für diese  Authentizität stehen auch die Bands, die im Kamphuis bislang aufgetreten sind. Das Kriterium: Sie müssen Westphal  gefallen. Wie einst der Schriftsteller Oscar Wilde hat  der Quickborner einen ganz einfachen Geschmack: Ihm gefällt eben nur das Beste. Dazu gehören nun mal John Campbelljohn aus Kanada, der Amerikaner Todd Wolfe, der früher bei Sheryl Crow mitmischte, Jason Buie aus Vancouver, die Band  „Vdelli“ aus Australien und die englischen Shooting-Stars „The Brew“. Der Ex-„Leningrad-Cowboy“, Ben Granfelt, spielte in der Musikkneipe genauso wie  Marcus Deml, der zu den besten Gitarristen der Welt zählt. Besonders stolz ist Westphal auf einen Auftritt des „Giant of Blues“ Louisiana Red (79). „Er hat als Kind noch Baumwolle gepflückt“, weiß Westphal. Authentischer könne es  gar nicht sein. Als weiteren musikalischen Leckerbissen erwartet das Kamphuis-Team die „Kris Pohlmann Band“ zum zweiten Mal, die 2006 als beste Rhythm ´n` Blues-Gruppe Deutschlands ausgezeichnet wurde.
 „Viele Musiker kennen sich alle untereinander. Sie machen Mundpropaganda. Da sagt dann der eine zum anderen: Du musst unbedingt mal im Kamphuis gespielt haben. Das ist ein toller Laden. Dafür nehmen sie sogar niedrigere Gagen in Kauf“, verrät Westphal. Gefragt, was  denn so besonders an  der Kneipe sei, antworteten die Musiker sofort: die Akustik und die Atmosphäre, berichtet der Veranstalter.
Kurios: Warum der Sound in der Kneipe so gut ist, dafür habe bisher niemand eine Erklärung gefunden. Für das hervorragende Feeling indes schon. Wer mal  bei einem Konzert dabei war, kann es sich leicht denken. Es hängt damit zusammen, dass es in dem Lokal keine Bühne gibt. „Wenn eine Band auftritt, räumen wir ein paar Tische weg. Eine PA-Anlage stellen wir zur Verfügung. Die Musiker müssen nur ihre  Instrumente mitbringen. Schon geht es los“, erklärt Westphal, der jedes Mal am Mischpult steht.   Diese Intensität würden die Bands  auf keiner großen Bühne dieser Welt erleben. In der Tat: Wer an der einen Seite des  Tresens sitzt, bräuchte nur seine Hand auszustrecken, um den  Musikern auf die Schulter zu klopfen.
Diese besondere Atmosphäre führt dazu, dass ein Schlagzeuger schon mal ein 20-minütiges Soli hinlegt oder die Bandmitglieder sich in den Pausen unter die Gäste mischen, um zu fachsimpeln. „Das kommt bei uns häufiger vor“, sagt Westphal. Und auch, dass der Veranstalter bei den Bands selbst mitspielt.
Aber stört der Lärm  die Nachbarn nicht? „Mit denen gab es bisher überhaupt keinen Stress. Bei Open-Air-Konzerten feiern sie  mit.“ Dennoch hat der Inhaber kürzlich in den Lärmschutz kräftig investiert. „Es ist jetzt minimal, was nach draußen geht.  Die Flugzeuge, die über uns hinwegfliegen, sind lauter“, weiß Westphal.
Auch wenn es für ihn  derzeit sehr gut  läuft, will er kürzer treten.  Sein Verlag steht kurz vor der Auflösung. „Das Leben hat noch etwas Anderes zu bieten“, sagt er. So steht unter dem Carport auf seinem Grundstück ein alter, wunderschöner VW-Bus. Seine  zweite Frau und er wollen mit dem Oldtimer, der etwa 650 000 Kilometer auf dem Buckel hat,  wieder auf große Reise gehen. „Von Korsika nach Schweden. Doch wir wollen den Radius erweitern“, sagt Westphal.
Bei einer Sache bleibt er aber am Ball.   „Das Kamphuis und die Live-Musik sind mein Herzblut. Das werde ich so lange machen, wie ich `krauchen‘  kann.“  Westphal wird also weiterhin die Bluesbands nach Quickborn holen. Für solche Fans, wie den anfangs erwähnten Rotterdamer, der dann doch herausfand, dass die Adresse stimmte. Später schickte der Niederländer Westphal eine E-Mail, in der er das  Konzert in den höchsten Tönen lobte. Aber darüber, dass die kleine, aber urige  Musikkneipe in einem Wohnhaus untergebracht ist, wundert er sich  heute noch.

René Erdbrügger

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