Donnerstag, 24. Januar 2013

Reise ins Herz der Finsternis


Jennifer Lawrence ist gut im Geschäft. Mit "Die Tribute von Panem" und "Silver Linings" hat sie bewiesen, dass sie die unterschiedlichsten Frauenfiguren überzeugend verkörpern kann. Mit "Winter's Bone", einer  düsteren Milieustudie, machte sie auf sich aufmerksam.

 Als wäre die Zeit stehen geblieben: Heruntergekommene Holzhäuser,  verrostete Pick-Ups und schäbige Kneipen, in denen nur  Country-Musik  dudelt. Männer ohne Jobs in dreckigen Unterhemden   und  kleine Kinder, die verwahrlost durch  die Gegend strolchen.  Aber der Independent-Film  „Winter’s Bone“  spielt nicht in den 30er Jahren der Großen Depression, sondern im Hier und Jetzt, in den Backwoods. Dort wohnen  die Hinterwäldler – der weiße Abschaum –  in einer Parallelwelt, in der Verrohung, Inzucht, Drogenhandel und  Mord an der Tagesordnung sind und eigene Gesetze herrschen.  Sind das alles nur Kino-Klischees? Bösartige Mythen?
Vor dem Hintergrund der eisigen und kargen Winterlandschaft der Ozarks/Missouri  erzählt Debra Granik in ihrem zweiten Werk ein Drama  um eine Suche mit archaischer Wucht. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine junge, mutige Heldin, die andere Sorgen hat als Mädchen ihres Alters.  Die 17-jährige Ree Dolly (herausragend: Jennifer Lawrence) muss sich um ihre zwei jüngeren Geschwister und ihre psychisch kranke Mutter  kümmern. Als  ihr Vater, der die Droge Crystal Meth herstellt und damit auch  dealt, nicht zu  einem Gerichtstermin erscheint,  steht die Polizei vor der Tür: Sollte der Vater nicht mehr auftauchen,  egal ob tot oder lebendig, wird die Hütte verkauft, denn  das Familienoberhaupt hat sie für seine Kaution verpfändet. Das will Ree verhindern, und so macht sie sich auf die Suche nach ihrem Vater. Ihr bleiben nur sieben Tage   Zeit.
Was dann folgt, ist eine Reise in Herz der Finsternis. Von ihren Verwandten und Nachbarn kann sie keine Hilfe erwarten. Blanker Hass  schlägt ihr entgegen.  Jeder des Dolly-Clans scheint  in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein, weil es in dieser Gegend so gut wie keine anderen Verdienstmöglichkeiten gibt. Rees Onkel Teardrop (John Hawkes) bedrängt sie deshalb, die Nachforschungen einzustellen, ansonsten könnte er für ihr Leben nicht mehr garantieren.  In einer Szene fährt er mit seiner Nichte, die nicht locker lassen will,  in den tiefen Wald, um ihr angeblich den Leichnam des Vaters zu zeigen. Aus solchen Momenten des Ungewissen und Unheimlichen heraus baut die Regisseurin Spannung auf.
Wie authentisch das ganze Szenario ist, lässt sich nur spekulieren. Was für  die Wahrhaftigkeit spricht:  Autor Daniel Woodrell, auf dessen Roman der Film basiert, wuchs in den Ozarks auf und  nahm  Drogen. Seine Bücher beschreibt er als country-noir – eine Mischung aus Folklore, Milieustudie und Krimi. Woodrell gilt als Stimme des White Trash, die in Hollywood dann doch überhört wurde. Obwohl für vier Oscars nominiert (unter anderem für Bester Film, Beste Hauptdarstellerin), ging „Winter‘s Bone“ bei der Verleihung leer aus. Der Blick auf das Lumpenproletariat von Amerika war wohl zu verstörend und beängstigend. 

René Erdbrügger

Sehenswert




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