Jennifer Lawrence ist gut im Geschäft. Mit "Die Tribute von Panem" und "Silver Linings" hat sie bewiesen, dass sie die unterschiedlichsten Frauenfiguren überzeugend verkörpern kann. Mit "Winter's Bone", einer düsteren Milieustudie, machte sie auf sich aufmerksam.
Als wäre die Zeit stehen
geblieben: Heruntergekommene Holzhäuser, verrostete
Pick-Ups und schäbige Kneipen, in denen nur Country-Musik dudelt.
Männer ohne Jobs in dreckigen Unterhemden und kleine Kinder, die
verwahrlost durch die Gegend strolchen. Aber der Independent-Film
„Winter’s Bone“ spielt nicht in den 30er Jahren der
Großen Depression, sondern im Hier und Jetzt, in den Backwoods. Dort
wohnen die Hinterwäldler – der weiße Abschaum – in einer Parallelwelt,
in der Verrohung, Inzucht, Drogenhandel und Mord an der Tagesordnung
sind und eigene Gesetze herrschen. Sind das
alles nur Kino-Klischees? Bösartige Mythen?
Vor dem Hintergrund der eisigen und kargen
Winterlandschaft der Ozarks/Missouri erzählt Debra Granik in ihrem
zweiten Werk ein Drama um eine Suche mit archaischer Wucht. Im
Mittelpunkt der Geschichte steht eine junge, mutige Heldin, die
andere Sorgen hat als Mädchen ihres Alters. Die 17-jährige Ree Dolly
(herausragend: Jennifer Lawrence) muss sich um ihre zwei jüngeren
Geschwister und ihre psychisch kranke Mutter kümmern. Als ihr Vater,
der die Droge Crystal Meth herstellt und damit auch
dealt, nicht zu einem Gerichtstermin erscheint, steht die Polizei vor
der Tür: Sollte der Vater nicht mehr auftauchen, egal ob tot oder
lebendig, wird die Hütte verkauft, denn das Familienoberhaupt hat sie
für seine Kaution verpfändet. Das will Ree verhindern,
und so macht sie sich auf die Suche nach ihrem Vater. Ihr bleiben nur
sieben Tage Zeit.
Was dann folgt, ist eine Reise in Herz der
Finsternis. Von ihren Verwandten und Nachbarn kann sie keine Hilfe
erwarten. Blanker Hass schlägt ihr entgegen. Jeder des Dolly-Clans
scheint in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein,
weil es in dieser Gegend so gut wie keine anderen
Verdienstmöglichkeiten gibt. Rees Onkel Teardrop (John Hawkes) bedrängt
sie deshalb, die Nachforschungen einzustellen, ansonsten könnte er für
ihr Leben nicht mehr garantieren. In einer Szene fährt er mit
seiner Nichte, die nicht locker lassen will, in den tiefen Wald, um
ihr angeblich den Leichnam des Vaters zu zeigen. Aus solchen Momenten
des Ungewissen und Unheimlichen heraus baut die Regisseurin Spannung
auf.
Wie authentisch das ganze Szenario ist, lässt sich
nur spekulieren. Was für die Wahrhaftigkeit spricht: Autor Daniel
Woodrell, auf dessen Roman der Film basiert, wuchs in den Ozarks auf
und nahm Drogen. Seine Bücher beschreibt er als
country-noir – eine Mischung aus Folklore, Milieustudie und Krimi.
Woodrell gilt als Stimme des White Trash, die in Hollywood dann doch
überhört wurde. Obwohl für vier Oscars nominiert (unter anderem für
Bester Film, Beste Hauptdarstellerin), ging „Winter‘s
Bone“ bei der Verleihung leer aus. Der Blick auf das Lumpenproletariat
von Amerika war wohl zu verstörend und beängstigend.
René Erdbrügger
Sehenswert
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