Dienstag, 31. Dezember 2024

"Squid Game 2": Neue Spieler, dieselben Regeln

Die südkoreanische Serie "Squid Game" sorgte 2021 für ein weltweites Phänomen. In der Serie geht es um eine Gruppe von Menschen, die in extremen finanziellen Notlagen sind und sich freiwillig für ein mysteriöses Spiel anmelden. Die Teilnehmer nehmen an einer Reihe von Kinderspielen teil, bei denen sie hohe Geldsummen gewinnen können. Doch der fiese Twist ist: Wer verliert, stirbt. Die Serie spielt mit dem Konzept von Armut, sozialer Ungerechtigkeit und menschlicher Gier.  

"Squid Game 2" setzt direkt nach den Ereignissen der ersten Staffel an, wobei sich die Serie zunehmend auf die Enthüllung des Systems hinter den Spielen konzentriert. In dieser Staffel erfahren wir mehr über die Organisation, die hinter den brutalen Spielen steckt, und über die Geschichte der Spieler und ihrer Beweggründe. Diese Weiterentwicklung ist eine der Stärken der zweiten Staffel: Sie öffnet die Serie für eine größere Dimension, indem sie politische und gesellschaftliche Themen weiter untersucht.

 


Hauptcharakter Seong Gi-hun (Lee Jung-jae) ist nach den Ereignissen der ersten Staffel emotional und moralisch zerrissen. Die zweite Staffel zeigt, wie seine Erfahrungen in den Spielen ihn verändern und ihm eine neue Motivation geben, aber es gibt keine wirklich tiefgreifenden Entwicklungen. Es scheint fast, als ob er mehr als Repräsentant der moralischen Fragestellungen agiert, als ein Charakter, der durch die Ereignisse eine persönliche Transformation durchmacht.

Einige Elemente der Handlung erscheinen wie Wiederholungen der ersten Staffel. Die Spieler sind erneut in einem tödlichen Spiel gefangen, und der Wettbewerb bleibt nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt. Es gibt sicherlich neue Spiele und frische Wendungen, aber das Grundprinzip des „Überlebens durch Gier und Gewalt“ fühlt sich an vielen Stellen wieder wie eine Wiederholung an. Zwar bringt die Serie neue Charaktere und mehr Hintergrundgeschichte, aber manchmal hat man das Gefühl, dass die zugrunde liegende Dynamik der ersten Staffel zu wenig weiterentwickelt wurde.

Die visuelle Gestaltung von Squid Game bleibt ein weiteres Highlight der zweiten Staffel. Die stark stilisierten, kindlichen Spielwelten in leuchtenden Farben und die groteske Kluft zur Brutalität der Spiele sind nach wie vor ein markantes Merkmal der Serie. In dieser Staffel sehen wir jedoch einige Wiederholungen der Designs aus der ersten Staffel, was den Eindruck erweckt, dass die kreativen Ideen ausgereizt sind.

Genug gemeckert: Wer die erste Staffel mochte, wird auch an der zweiten Staffel Gefallen finden, auch wenn einige ihrer Versprechen noch nicht ganz eingelöst wurden. 2025 geht es weiter!

Die Serie "Squid Game" sowie die zweite Staffel ("Squid Game 2") sind exklusiv auf Netflix verfügbar.

Sonntag, 29. Dezember 2024

Düster und bedrohlich: Warum "They See You" überzeugt"

 

"They See You" verspricht mit seiner Grundidee – eine Gruppe von Fremden, gefangen in einer Hütte, beobachtet von unbekannten Kreaturen – einen spannenden und atmosphärischen Thriller. Der Thriller, eine Romanverfilmung, hält das Versprechen: Die Isolation der Figuren, unter anderem die eigenbrötlerische Mina (Dakota Fanning), die Unkenntnis über ihre Beobachter und die langsam zunehmende Spannung sind Elemente, die das Genre prägen. Die junge Regisseurin Ishana Shyamalan, Tochter des berühmten Filmemachers M. Night Shyamalan ("The Sixth Sense"), schafft es, eine dichte Atmosphäre zu erzeugen, die ein Gefühl der Beklemmung vermitteln.


 

Auch visuell ist der Film ein Genuss. Die düstere Farbpalette, die bedrohlichen Waldlandschaften und die klaustrophobische Enge der Hütte tragen maßgeblich zur unheimlichen Stimmung bei. Das Sounddesign unterstreicht die visuelle Gestaltung hervorragend. Subtile Geräusche, die im Hintergrund rauschen, und plötzliche, laute Schreckensszenen tun ihr Übriges. Die Spannung baut sich langsam und bedrohlich auf,  geht nach der Flucht aus dem Wald wieder nach unten, um dann zum Schluss an Fahrt aufzunehmen. Klasse Debüt.

Freitag, 27. Dezember 2024

Die Stadt der Träume "Megalopolis": Coppolas monumentales Experiment

 

Francis Ford Coppola hat "Megalopolis" in erster Linie durch sein eigenes Vermögen und den Verkauf von Vermögenswerten (Weinberge) finanziert.Ob sich das gelohnt hat? Bei mir hinterlässt der Film ein zwiespältiges Gefühl. 

In "Megalopolis" treffen Vergangenheit und Zukunft aufeinander. Die Stadt New Rome, ein Spiegelbild des modernen New York, steht am Scheideweg. Architekt Cesar Catalina (Adam Driver) sieht eine Chance zur Erneuerung und setzt dabei auf ein mysteriöses Material. Doch der korrupte Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito) und andere mächtige Figuren stehen seinen Plänen im Weg. Zwischen politischen Machtspielen, persönlichen Dramen und philosophischen Überlegungen entwickelt sich ein epischer Kampf um die Zukunft der Stadt. Coppola verwebt historische Ereignisse, literarische Referenzen und futuristische Elemente zu einem komplexen Ganzen, das weniger fasziniert als  herausfordert."


 

Der Bezug zum alten, dekadenten Rom ist offensichtlich - wie zum römischen Staatsstreich im Jahr 63 v. Chr. (bei dem es Akteure namens Catalina, Cicero und Caesar gab). Aber dem nicht genug: Drivers erste große Szene besteht aus einer langen Hamlet-Zitat. Siddhartha, Marcus Aurelius, Sappho werden zitiert. Das fügt sich aber nicht zu einem großen Ganzen, und optisch sehen Filme wie "Metropolis" und "Blade Runner", deren Blaupause "Megalopolis" ist, auch heute noch viel besser aus. An seine Klassiker - Pate-Trilogie und "Apocalypse Now" - kommt Coppola eh nicht heran.

Die komplexe Handlung, die zahlreiche Charaktere und Handlungsstränge miteinander verwebt, wirkt dabei oft überladen und schwer nachvollziehbar. Die Dialoge sind häufig pathetisch und wirken gekünstelt. Coppola hat kein brillantes Alterswerk geschaffen. Die Götter - und Fans seiner Filme - werden es ihm verzeihen.

Donnerstag, 19. Dezember 2024

„The Substance“: Ein Thriller, der mehr verspricht, als er hält

 

Die Eröffnungsszene zeigt den Fall von Elizabeth Sparkle (Demi Moore), einst ein glänzender Star, heute nahezu ist die Tänzerin vergessen. Aus der Vogelperspektive sieht der Zuschauer, wie sie ihren Hollywood-Stern auf dem berühmten Walk of Fame in Los Angeles bekommt: Zunächst von Fans umringt und von Blitzlichtern beleuchtet, wird der Stern von heruntergefallenen Fast-Food-Verpackungen verschmutzt und schließlich von Rissen durchzogen. Das Schicksal vieler Schauspielerinnen.

The Substance" erzählt die Geschichte einer alternden Schauspielerin (Demi Moore), deren Ruhm verblasst ist. Um dem entgegenzuwirken und ihr jugendliches Aussehen wiederzuerlangen, greift sie zu einer dubiosen Substanz. Diese Substanz ermöglicht es ihr, eine jüngere Version von sich selbst zu erschaffen (glänzend gespielt von Margaret Qualley). 


 

Was zunächst wie eine Verjüngungskur aussieht, entwickelt sich bald zu einem Albtraum, als die beiden Versionen ihrer selbst in einen gefährlichen Konflikt geraten -  das erinnert an Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die Substanz reicht immer nur für eine Woche, dann muss wieder getauscht werden. Plötzlich gerät alles aus dem Gleichgewicht, als das jüngere Ich nicht mehr mitspielen will. 

Der Film spart nicht mit Kritik an den unbarmherzigen Schönheitsnormen, dem Jugendwahn und dem ständigen Optimierungsdruck, insbesondere in der Welt des Showbusiness. Demi Moores Rolle scheint dabei eine direkte Anspielung auf ihre eigene Karriere und die damit verbundenen Herausforderungen zu sein. Großartig auch Dennis Quaid als schmieriger und sexistischer TV-Produzent.

Die Inszenierung ist stylisch und provokativ. Markante Farben, schräge Perspektiven und eklige Close-ups sorgen für eine verstörende Atmosphäre. Doch am Schluss trägt Regisseurin Coralie Fargeat viel zu dick auf: Im trashigen Finale fließt das Kunstblut in Strömen. Sonst wäre es ein brillanter Film geworden. 

Der Film "The Substance" ist aktuell bei Prime Video, Apple TV, freenet Video, maxdome, Mubi, MUBI verfügbar.

 



Sonntag, 15. Dezember 2024

„Alien: Romulus“ – Visuelles Spektakel

 

"Im Weltraum hört dich niemand schreien": Diesen Satz verbindet  jeder Filmfan mit "Alien", ein Klassiker des Genres von Ridley Scott. Der Sci-Fi-Horror hat in den letzten Jahrzehnten viele Gesichter angenommen, aber wenige Franchises sind so ikonisch wie die Alien-Reihe. Mit "Alien: Romulus" hat sich Regisseur Fede Álvarez "Don't Breathe" (2016) an den Stoff gewagt. Die Handlung ist chronologisch zwischen "Alien" (1979) und "Alien - Die Rückkehr" (1986) angesiedelt.

Im Mittelpunkt steht eine Gruppe junger Weltraumkolonisatoren auf einer gefährliche Mission, um einer harten Existenz zu entfliehen. Sie dringen in eine verlassene Raumstation ein, um wertvolle Technologie zu stehlen. Doch die Station birgt ein dunkles Geheimnis - und für die meisten den Tod.



Fede Álvarez' Inszenierung ist zwar stilistisch ansprechend, mit einem klaren Fokus auf klaustrophobische Atmosphäre und düstere, von Schatten durchzogene Szenerien. Aber während frühere Filme der Reihe eine ständige Weiterentwicklung des Aliens präsentierten, bleibt "Romulus" in vielerlei Hinsicht ein Rückschritt. Die Bedrohung ist wieder unmittelbarer und tödlicher, doch das Fehlen von neuen kreativen Konzepten rund um das Alien ist enttäuschend.

Während Scott im ersten immer auf langsame, beinahe quälende Spannungsaufbauten setzte, verliert sich "Romulus" zu oft in weniger effektiven Szenen, die mehr auf Schock als auf tiefgründigen, psychologischen Horror setzen. Dafür gibt es viele, viele Aliens und viele, viele Facehugger sowie die ein oder andere Ekelszene. Erstmals taucht auch ein Mensch-Xenomorph-Hybride auf.

Ja, solide, aber mehr nicht.

"Alien: Romulus" ist unter anderem über Apple TV, Amazon Video und Sky Store zu sehen.



Samstag, 14. Dezember 2024

The Sticky“: Ahornsirup-Raub mit überraschenden Wendungen

Zum Ende des Jahres noch so viele gute Serien in Kinoqualität: Eine davon ist "The Sticky", eine  Mischung aus Krimi und Komödie, die sich um einen ungewöhnlichen Raub dreht. Die Grundidee basiert auf einem echten Vorfall: 2011 und 2012 wurden in Quebec tausende Tonnen Ahornsirup gestohlen. In den sechs Folgen Serie wird dieser wahre Fall als Inspiration genutzt, aber die Handlung ist größtenteils fiktiv. Heißt es doch gleich zu Beginn: "This is Absolutely Not the True Story of the Great Canadian Maple Syrup Heist."


 

Es geht um eine Gruppe von skurrilen Charakteren, die durch ihre schlechten Entscheidungen immer tiefer in Schwierigkeiten geraten.Gleichzeitig zieht die Serie eine Parallele zu dem Film „Fargo“ der Coen-Brüder. So entfaltet sich eine Kriminalgeschichte, in der einige Einheimische in einer verschneiten frankokanadischen Landschaft in etwas verstrickt werden, das weit komplizierter und gewalttätiger wird, als sie es erahnen. Auch die Ungeschicklichkeit der Figuren und unerwarteten Wendungen sowie der trockene, lapidare Humor erinnern an die Filme der Coen-Brüder.

Die großartige Margo Martindale spielt eine entschlossene Ahorn-Bäuerin, die alles tut, um ihre Farm zu retten. Zusammen mit einem naiven Sicherheitsmann und einem erfahrenen Gangster schmiedet sie einen riskanten Plan.Unterdessen versuchen zwei Polizistinnen, herauszufinden, was vor sich geht, während die drei Antihelden ihnen immer einen Schritt voraus sind.Trotz eines etwas langsamen Starts findet die Serie schnell ihren Rhythmus und endet mit einem Cliffhanger.


Samstag, 7. Dezember 2024

Saltburn: Provokativ, fesselnd, verstörend

Eigentlich hat man schon alles gesehen und dennoch vermag "Saltburn" zu schockieren. Eine der umstrittensten Szenen zeigt, wie der Protagonist Oliver das Badewasser seines Bekannten Felix schlürft, in der dieser zuvor onaniert hat. Ekelhaft. Genau. Das will niemand im Gedächtnis behalten. Dabei bleibt es nicht. In einer weiteren schockierenden Szene wird Oliver gezeigt, wie er sexuelle Handlungen auf einem Grab vollzieht. Der Ruf eilt diesem Film voraus.

"Saltburn" ist ein düsterer, oft verstörender und zugleich brillant inszenierter Film von Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell, die mit ihrem ersten Film "Promising Young Woman" (2020)  schon überzeugte. Nun entführt Fennell die Zuschauer in eine Welt der Oberflächlichkeit, der gesellschaftlichen Hierarchien und der Faszination für Reichtum, Macht und moralische Ambiguität.


 

 

Die Geschichte folgt Felix Catton (Jacob Elordi), einem charismatischen, aber mysteriösen Studenten an einer britischen Universität. Felix stammt aus einer wohlhabenden, exzentrischen Familie, die in einem gigantischen, abgelegenen Landhaus – Saltburn – lebt. Der Film beginnt, als Oliver Quick (Barry Keoghan), ein eher unauffälliger und unsicherer Student, von Felix in dessen Welt eingeführt wird. 


 

Oliver ist fasziniert von Felix’ Lebensstil und wird zu einem ständigen Begleiter der Familie, die schnell seine wahren Absichten in Frage stellt. Die Geschichte entwickelt sich zu einer dunklen Studie über Manipulation, Verführung und den drängenden Wunsch, einem Leben der Reichen und Schönen beizutreten. Felix hat etwas von Tom Ripley aus den Romanen von Patricia Highsmith.

Mehr soll hier nicht verraten werden. Der Film nimmt eine Wendung, die der Zuschauer nicht kommen sieht. "Saltburn" ist ein Film, der auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Er ist ein packendes Porträt von Macht, ein psychologisches Drama und ein verstörender Thriller mit einer ikonischen Schlussszene, in der Oliver triumphierend und nackt tanzt - zu dem Song "Murder on the Dancefloor" von Sophie Ellis-Bextor. Wie passend.  

Sonntag, 1. Dezember 2024

Damien Chazelles "Babylon": Ein Rausch aus Glanz und Elend

 

Hollywood in den 1920er Jahren: Es beginnt mit einem riesigen Elefanten, der auf den Straßen von Los Angeles transportiert wird. Immer höher hinaus auf einen Hügel, wo das Anwesen eines Filmmoguls steht. Das Tier ist als exotische Einlage für eine orgiastische Hollywoodparty gedacht. Doch der verunsicherten Elefant kann nur noch eins: Er entleert seinen Darm.

In der Eröffnungssequenz wird die Richtung angegeben: Der Elefant ist ein Symbol für die extravagante Natur der Filmindustrie in dieser Zeit – ein Zeichen des Überflusses, der Verschwendung, der Dekadenz und der verrückten Ambitionen, die mit der Entstehung von Hollywood einhergingen. Die Traumfabrik nimmt ihre Arbeit auf.   

Damien Chazelles "Babylon" ist ein überwältigendes und opulentes Werk, das die Anfänge von Hollywood und das Leben der Menschen hinter den Kulissen der Filmindustrie zu einem epischen Spektakel verdichtet. Mit einer Laufzeit von fast drei Stunden und einer Vielzahl von Charakteren und Erzählsträngen gelingt es Chazelle, die exzessive, wilde Zeit des Umbruchs von Stumm- zu Tonfilmen in den 1920er Jahren darzustellen – aber nicht ohne die dunklen Seiten dieser Entwicklung zu zeigen.

Der Film ist eine Mischung aus Satire, Tragödie und Historie Hierfür greift Chazelle auf eine Reihe exzentrischer, bunter Charaktere zurück: Der aufstrebende Schauspieler Jack Conrad (Brad Pitt),deren Aufstieg und Fall die Höhen und Tiefen des Showbusiness symbolisieren, die ehrgeizige Schauspielerin Nellie LaRoy (Margot Robbie) und der betont rational denkende Produktionsassistent Manny Torres (Diego Calva) sind nur einige der Protagonisten, die in einer Geschichte aus Ruhm, Zerfall und Selbstzerstörung eingebunden werden.

Von den opulent inszenierten Partys mit Drogen und Kokain, die vor Dekadenz und Wahnsinn strotzen, bis zu den intensiven, bisweilen grotesken Set-Aufnahmen, die die ständige Arbeit im Filmbusiness widerspiegeln – der Film ist in jeder Hinsicht ein visuelles Fest. 

Es gibt so viele gute Szenen: In einer fährt die Kamera durch zig Stummfilmsets, an denen nicht alles reibungslos läuft - schon damals produzierte Hollywood Filme wie am Fließband. 


 

In einer anderen Szene wird ein Schauspieler, der die Rolle eines „afrikanischen“ Charakters spielen soll, einem Casting-Director vorgestellt. Der Regisseur ist jedoch nicht zufrieden mit seiner Darstellung, weil er glaubt, dass der Schauspieler „nicht schwarz genug“ aussieht. Er soll sich deswegen schminken - Blackfacing für People of Color. Diese groteske Szene verdeutlicht den extremen Rassismus und die stereotype Denkweise der damaligen Filmindustrie, in der die Darstellung von Afroamerikanern oft auf überzogene Klischees reduziert wurde. 

In der Schlussszene sehen wir Manny Torres, der sich am Ende des Films von der Filmindustrie entfernt hat. Er blickt auf das heutige Hollywood und dessen Entwicklung. Diese Szene spielt in einem modernen Kino, das eine Vorstellung des Films Singin' in the Rain (1952) zeigt, einem ikonischen Film über den Übergang von der Stummfilm-Ära zum Tonfilm, was auch thematisch eine Art „Spiegelung“ der Geschichte von Babylon ist.

Die Kamera fährt dann zu einer langen, epischen Montage, in der Szenen aus dem gesamten Hollywood-Kino gezeigt werden – eine Feier der Filme und der Kunstform selbst. Diese Montage ist sowohl eine Hommage an das Kino als auch eine Meditation über den Zyklus von Ruhm und Vergessenheit. Die Bilder zeigen eine Vielzahl ikonischer Filmszenen, die durch die Jahrzehnten hinweg die Filmgeschichte prägten, vom frühen Kino bis zu moderneren Meisterwerken wie "Der Pate", "Casablanca", "Citizen Kane", "Vertigo", "2001: Odyssee im Weltraum", "Pulp Fiction" und, und, und. Das ist so ergreifend. Babylon ist eine großartige  künstlerische Auseinandersetzung mit der Mythologie Hollywoods. Ein Meisterwerk. 

Roman "Yellowface": Kulturelle Aneignung unter der Lupe

 

Rebecca F. Kuangs "Yellowface" ist ein Roman, der unter die Haut geht. Mit scharfem Blick und sarkastischem Humor legt die Autorin die Schattenseiten der Literaturbranche bloß und wirft dabei einen ebenso kritischen Blick auf Themen wie Identität, Rassismus und kulturelle Aneignung.

Im Zentrum der Geschichte steht June Hayward, eine erfolglose weiße Schriftstellerin, die von der literarischen Karriere ihrer chinesisch-amerikanischen Freundin Athena Liu fasziniert ist. Als Athena unerwartet stirbt, sieht June ihre Chance gekommen. Sie stiehlt Athenas Manuskript, bearbeitet es geringfügig und veröffentlicht es unter eigenem Namen. Der Roman wird zum Bestseller, und June wird gefeiert. Doch ihr Erfolg ist währt nicht lange.



Kuang zeichnet ein vernichtendes Bild der Verlagswelt, in der Identität zu einem Marketinginstrument verkommt und Diversität oft nur als Lippenbekenntnis dient. June, die sich als weiße Autorin nicht gehört fühlt, versucht, von den Privilegien einer marginalisierten Stimme zu profitieren, ohne die damit verbundenen Erfahrungen zu teilen. Ihre Taten legen die Doppelmoral der Branche bloß.

"Yellowface" ist aber nicht nur eine Anklage gegen die Verlagswelt, sondern auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Identität. June, die ihre eigene Identität ständig hinterfragt, gerät in einen Strudel aus Lügen und Selbstbetrug. Der Roman wirft die Frage auf, inwieweit Identität konstruiert ist und ob es legitim ist, Erfahrungen anderer zu übernehmen.

Die Satire in "Yellowface" ist dabei oft bitterböse und lässt den Leser nicht unberührt. Kuang spart nicht mit Kritik an der Literaturbranche, den sozialen Medien und der Gesellschaft im Allgemeinen. Gleichzeitig gelingt es ihr jedoch, auch Mitgefühl für ihre Protagonistin zu erzeugen, die in ihrem verzweifelten Versuch nach Anerkennung tragisch scheitert.

R.F. Kuang Schreibstil ist prägnant und bissig. Die Autorin nutzt eine Mischung aus scharfzüngiger Satire und spannungsgeladener Erzählweise. Wie sie es schafft, komplexe gesellschaftliche und kulturelle Themen zugänglich und unterhaltsam darzustellen, ist brillant.  


Rebecca F. Kuang:"Yellowface", Eichborn, 24 Euro