Freitag, 27. September 2013

Glen Hansard - Der irische Barde

Glen Hansard, 1970 in Dublin geboren, ist Gründer, Gitarrist und Bandleader der irischen Indie-Folk-Band „The Frames“.  Er verließ die Schule, als er 13 Jahren alt war, um in den Straßen von Dublin zu spielen. Auf sich Aufmerksam machte er durch seine Rolle als Gitarrist Outspan Forster in „Die Commintments“. Heute ist Hansard einer erfolgreichsten Musiker und Komponisten Irlands.
Mit Hansard sprach Redakteur René Erdbrügger im Hamburger Yoho-Hotel über
den Film "Once".
Glen Hansard spielt im Yoho-Hotel. Die Gitarre scheint  zwar ramponiert, aber die Töne, die der Musiker ihr entlockt - oh yeah. Fotos (3): Erdbrügger







Erzählen Sie bitte etwas über die Bedingungen, unter denen „Once“ entstand.
Glen Hansard: Der Film wurde in drei Wochen für 120 000 Euro gedreht. Aber er hat bislang 13 Millionen Dollar eingespielt. Es ist unglaublich, vor allen, wenn man den Kontext sieht. Ursprünglich war geplant, „Once“ mit Cillian Murphy in der Hauptrolle zu drehen. Das Budget betrug zwei Millionen. Ich sollte nur die Songs schreiben. Einen Monat, bevor die Dreharbeiten losgehen sollten, rief Cillians Agentur an und teilte mit, er wäre nicht mehr mit dabei, weil er ein anderes Projekt hat.  Auch der Produzent sprang ab. Es sah so auch, als sei unser Film gestorben. John allein konnte das Geld nicht aufbringen.  Wir kamen  dann auf die Idee, den Film für ganz wenig Geld  mit DVD-Kameras und ohne Dreh-Erlaubnis aufnehmen. Dann könnten wir ihn für etwa 100 000 Euro produzieren, so unsere Überlegungen. Ich schlug vor, Damian Rice für die Hauptrolle zu nehmen. Er ist ein guter Sänger. Aber John sagte: Wenn wir es machen, dann mit dir.

Viele Szenen schauen sehr spontan aus. Gab es ein Drehbuch?
Hansard: Ja, es gab ein Script. Ein sehr kurz gefasstes. John ist ein sehr guter Schreiber. Aber wir haben uns nicht immer daran gehalten.

Ich habe gelesen, dass Sie und Markéta im richtigen Leben ein Paar sind?
Hansard: Ja, aber erst nach dem Film. Ich kenne Markéta allerdings schon seit sie 13 Jahre alt ist. Markétas Vater ist ein sehr bekannter Konzertpromoter in Tschechien. Als er vor sechs Jahren mein Konzert in Prag betreute, lud er mich und meine Band in sein Haus ein.

In dem Film küssen sie sich und Markéta kein einziges Mal.
Hansard: Der Grund, warum der Film „Once“ (zu deutsch: einmal; Anmerkung der Redaktion) heißt, ist, weil John auf die Idee kam, dass sich das Mädchen und der Junge einmal küssen sollten. Das kam für mich und Markéta aber überhaupt nicht in Frage. Vollkommener Blödsinn. Wenn sie sich geküsst hätten, wäre der Film tot.

Frage: Die Geschichte endet bittersüß: Was glauben Sie, passiert später mit dem Mädchen und dem Jungen?
Hansard: Das Mädchen wird wahrscheinlich bei ihrem Ehemann bleiben und weiter Klavier spielen. Der Junge wird nach London gehen. Wahrscheinlich wird er wieder mit seiner Ex-Freundin zusammenkommen und einen Job annehmen.

Dann sind sie also mit dem Ende des Films zufrieden?
Hansard: Ich liebe es.

„Once“ ist auch ein Film über das Loslassen? Die Szene mit dem Jungen und seinem Vater sind sehr gefühlvoll.
Hansard: Es ist eine typische irische Lebensart. Iren leben bis  zu ihren Dreißigern ja sogar Mittdreißigern zu Haus bei ihren Eltern. Die drängen ihre Kinder  auch nicht, das Haus zu verlassen. Es mag vielleicht daran liegen, dass Hunderte von Jahren irische Jugendliche so schnell sie konnten nach Amerika oder England auswanderten, um bessere Arbeit zu finden. Heute ist das nicht mehr nötig. Für irische Familien ist es eine gute Sache, ihre Kinder so lange wie möglich zu Hause zu behalten. Ja, „Once“ ist ein Film vom Loslassen.

Kennen Sie übrigens den Film „Klang des Herzens“. Dort gibt es dasselbe Motiv wie in „Once“: Menschen, die sich lieben, kommunizieren  über die Musik miteinander.
Hansard: Ich habe ihn noch nicht gesehen. Aber was für ein Zufall: Der Regisseur Curstin hat Markéta und mich gefragt, ob wir für seinen Film einen Song schreiben würden. Dazu ist es aber nicht gekommen.

Frage: Es gibt den  Song von The Who „My Generation“. Für welche Generation ist „Once“ gedacht?
Hansard:   Für die You-Tube-Generation. Im Kino gibt es derzeit eine neue Strömung. Das gleiche gilt für die Musik. Man muss kein Studio buchen, um eine gute Platte zu machen. Man kann  Platten oder Filme heutzutage für sehr wenig Geld produzieren.

In der Anfangssequenz von „Once“ wird dem Musiker der Gitarrenkasten mit dem Geld, das er für sein Spielen bekommen hat,  auf offener Straße gestohlen. Ist Ihnen das auch schon passiert, als Sie noch auf den Straßen von Dublin musiziert haben?
Hansard (lacht): Ja, das ist mir das schon wiederfahren. Ein Kerl hat es bis zu fünf Mal versucht.

Die Gitarre, auf der sie im Film spielen, schaut auf, als sei sie demoliert. Unter dem Resonanzkörper ist ein Loch im Holz.
Hansard: Die Gitarre ist nicht kaputt. Das kommt vom häufigen Spielen.

Das sieht aber sehr komisch aus.
Hansard: Auf dem Sundance-Festival in Amerika, wo unser Film lief, gingen Markéta und ich auf die Bühne, um ein paar Songs zu spielen. Als ich die Gitarre rausholte, fiel das Publikum plötzlich an zu klatschen. Ich fragte „Warum klatscht Ihr?“ „Das ist die Gitarre aus dem Film “, antworteten sie. Tatsächlich: Meine Gitarre ist berühmt geworden.“

Gibt es schon Filmangebote aus Hollywood?
Hansard: Ja, es gibt Angebote für Filme. Aber ich bin nicht wirklich  interessiert. Ich bin Musiker, das ist mein Leben.

Und was inspiriert Sie, wenn Sie Ihre Songs schreiben?
Hansard: Das Leben, die Liebe und die Romantik.

Vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkung: Heute sind Glen und Markéta kein Paar mehr. Wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein.







Filmkritik zu "Once"

Erstes Rendezvous im Musikladen um die Ecke

Ein irischer Musiker lernt auf den Straßen von Dublin eine tschechische Pianistin kennen –  es ist der Beginn einer ungewöhnlichen Liebesbeziehung, die sich nur im gemeinsamen Musikmachen ausdrückt. Regisseur John Carney ist mit  „Once“  ein moderner Klassiker gelungen, der die Herzen im Sturm erorbert.

Von René Erdbrügger

Es ist ein modernes Märchen, das in den Straßen von Dublin spielt: Ein irischer Straßenmusiker lernt eine junge, wunderhübsche tschechische Pianistin kennen, eine Frau, für die ein Mann alles tun und sein Leben von heute auf Morgen komplett umkrempeln würde. Auf der Straße spricht sie ihn an.  Ein Song von ihm berührt sie. Sie glaubt, darin den Schmerz von vergangenen Erlebnissen herauszuhören.
Auch er möchte sie spielen hören, aber die Musikerin besitzt kein Klavier. Später führt sie zu einem Musikgeschäft, dessen Eigentümer er kennt. Sie spielt etwas von Mendelssohn. Dann kramt er die Noten eines Stücks aus, das er komponiert hat. Beide fangen an zu spielen, er auf der Gitarre, sie auch dem Klavier. „Falling Slowly“  heißt der Song, der noch öfter zu hören ist.
Allein dieser Moment ist pure Magie. Regisseur John Carney bezeichnet sie als „First-Kiss-Scene“. Statt eine Kusses flirten und lieben in „Once“ die beiden Hauptdarsteller jedoch nur über die Musik miteinander.  Immer wieder.

Dass sich der Junge und das Mädchen ineinander verknallt haben, steht außer Frage. Doch sie werden nicht miteinander ins Bett gehen -  bis zum bittersüßen Ende. Einmal besucht sie ihn zu Hause, und er fragt, ob sie mit ihm die Nacht verbringen möchte. Empört verlässt sie sein Zimmer.
Es ist nicht leicht für dieses ungewöhnliche Paar: Beide leiden an einem gebrochenen Herzen. Seine Freundin hat ihn verlassen und ist nach London gezogen. Auf Super-8-Aufnahmen werden Momenten dieser einst glücklichen Liebe gezeigt. Sie ist verheiratet und hat ein Kind. Ihr Mann lebt in Prag.  Beide haben es schwer: Der Straßenmusiker und die Pianistin sind bettelarm. Wenn er nicht spielt, repariert er für seinen Vater Staubsauger. Sie muss putzen gehen und lebt bei ihrer Mutter.

Dennoch fluchen beide nicht über das Leben oder geben sich auf,  sondern sie tun das, was sie am besten können: Musik machen.
Er möchte eine Demo-Band mit seinen Songs aufnehmen. Sie hilft ihm dabei und spielt nicht nur das Piano. Bei der Bank spricht sie vor, den Besitzer eines Aufnahmestudios überredet sie, mit dem Mietpreis runterzugehen.
In einer der vielen schönen Szenen überreicht er ihr schließlich das fertige Demo-Band. Sie hat keine Batterien, sucht nach Geld und geht noch nachts in einen Drugstore, um neue zu kaufen. Dann hört sie das Tape und spaziert wie gebannt und verzaubert durch die Stadt bei Nacht, angetrieben durch die wundervolle Musik, die sie beide aufgenommen haben.

Es sind diese kleinen, intimen, filmischen Momente, in denen Carney und seine beiden brillanten Hauptdarsteller den  Alltag entbanalisieren und zugleich mystifizieren. Hinter dem Realen verbirgt sich etwas  Magisches, dass sich nur durch die Musik offenbart. Mit ist kein Musikfilm bekannt, der das bisher so überzeugend und dennoch so bescheiden transportiert hat. 

„Once“ ist somit nicht nur gut, sondern sensationell, ein moderner Klassiker, ein Juwel, ein Meilenstein, wie wir ihn nur alle paar Jahre zu sehen bekommen. Wenn überhaupt. In Amerika und England hat er damals den Siegeszug angetreten und die Herzen der Zuschauer im Sturm erobert. In Deutschland wollte ihn kaum jemand sehen. Aber mir sind gerade diese Geheimtipps, die man nur mit ein paar  Cineasten teilt, die liebsten.

Montag, 16. September 2013

Auf DVD und Blu-ray: Die grandiose US-Serie "Hannibal"

"Hannibal" wird als Vorgeschichte zu "Roter Drache" verkauft. Was irritiert, denn Thomas Harris' Roman spielt in den 80er Jahren, die US-Serie in der heutigen Zeit (gut zu erkennen an den modernen Autotypen und den Smartphones). Anyway: "Hannibal" ist eine der verstörendsten Serien seit langem, Mads Mikkelsen als Bösewicht eine Wucht, der Look der Serien exquisit. Warnung: Nur in geringer Dosis konsumierbar.

Lieferbar über Amazon UK.

Mads Mikkelsen als stilvoller Bösewicht.






„The World’s End“ - Saufen, bis die Aliens kommen

Charmante Idee: Gary King (Simon Pegg) hängt noch immer dem größten Traum seiner Jugendtage nach. Zusammen mit seiner alten Clique möchte er eine  Sauf-Tour durch die zwölf Pubs, die "goldene Meile", seiner Heimatstadt zu Ende bringen, die die fünf an ihrem letzten Schultag nicht ganz geschafft hatten. Selbstverständlich kommt es anders als er denkt, denn  die alten Freunde haben sich verändert.
Nach „Shaun of The Dead“ und „Hot Fuzz“  bringen Simon Pegg, Nick Frost und Regisseur Edgar Wright mit „The World’s End“, so der der Namen der letzten Kneipe,  den dritten Teil ihrer so genannten Blut-und-Eiscreme-Trilogie in die Kinos, die nicht mehr so rockt wie die beiden Vorgänger. Nach Zombies und Morde in einer Kleinstadt gibt hier eine Aliens-Invasion den Rahmen, in dem Pegg, Frost und Wright ihre Gag-Salven abfeuern und und Popkultur-Referenzen zum Besten geben. Aber der SF-Parodie wirkt in die Länge gezogen und die Kämpfe gegen die Alien-Roboter ermüden. Auch an der deutschen Kinokasse läuft der Streifen mittelprächtig.



René Erdbrügger
*** Annehmbar  
Regisseur Edgar Wright
und 
Schauspieler und Komiker Nick Frost (unten)
in Hamburg, 
um „Hot Fuzz“ zu promoten.
Fotos (2): Erdbrügger 

Mittwoch, 11. September 2013

Quickborn in Rio de Janeiro


Die Quickborner Stewardess Andrea Schön auf der   Escadaria Selarón. Fotos: Privat


Rio de Janeiro: Quickborner Stewardess entdeckt   Eulenwappen in der wohl berühmtesten Treppe der Welt

Quickborn  Die Quickborner Stewardess Andrea Schön hat die ganze Welt gesehen.  Hunderttausende von  Kilometern ist sie um den Globus gejettet. Ihren  Aufenthalt in den großen Städten nutzt sie, um sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Rio de Janeiro in  Brasilien. Zwei Tage frei. Na klar,  die wohl berühmteste Treppe der Welt, die Escadaria  Selarón, gehört zum Pflicht-Programm.
Als die Quickborner Flugbegleiterin die Stufen hochstieg, fasziniert von den mehr als 2000 bunten Keramikkacheln, traute sie plötzlich ihren Augen nicht: „Über zwei Stufen sind vier  Kacheln mit dem Quickborner Eulenwappen eingelassen“, erzählt  sie. Das fand sie so außergewöhnlich, dass sie diese Zeitung darüber informierte. „Das ist doch toll. Ich finde, darauf kann Quickborn stolz sein“, sagt Schön, die mit dem Feuerwehrmann Wido Schön verheiratet ist.
Es ist ein Stück Heimat in der Fremde, ein Stück Quickborn im fernen Brasilien  am anderen Ende der Welt. Aber nicht nur das Quickborn-Wappen ist dort zu sehen, sondern Fliesen aus mehr als 60 Ländern zieren die Stufen.
 Ihren Namen erhielt die Treppe zum Armenviertel durch ihren Erschaffer: Jorge Selarón, der  Anfang des Jahres   auf den Stufen tot aufgefunden wurde. Die „Escadaria  Selarón“ – mit dieser Arbeit wollte der ursprünglich aus Chile stammende Künstler seiner Wahlheimat Brasilien ein Denkmal setzen. Die Ecadaria  Selarón besteht  aus mehr als  250 Stufen. Die Treppe verziert ein Mosaik aus Fliesen, die hauptsächlich in den Farben grün, gelb und blau gehalten sind –  es ist ein Tribut an die brasilianische Flagge. Und dazwischen immer wieder die Farbakzente von Kacheln aus Orten aller Herren Länder –  ein Kunstwerk, das die Grenzen überschreitet.
„Ich habe mich allerdings gefragt, wer die Kacheln nach Brasilien gebracht hat“, sagt Schön während des Gesprächs.  Es war die Quickborner Künstlerin Maren Nitschke, die Anfang des neuen Jahrtausends die vier Fliesen mit dem Eulenwappen brannte und Jorge Selarón    überreichte. Da sie die Hälfte des Jahres in Brasilien lebte, hatte sie von der Escadaria  Selarón gehört und wollte  die Eulenstadt  symbolisch zu einem Teil des Kunstwerks machen.  Damals   war Selarón, der in seinem Haus mit  Künstlerwerkstatt direkt an der bunten Treppe wohnte,  noch ein Unbekannter.  Das sollte sich schnell ändern:   Der US-Rapper Snoop Dogg setzte der bunten Treppe in seinem Musik-Video „Beautiful“  ein Denkmal.  2005 stufte der Bürgermeister das Kunstwerk als historisches Monument ein und machte Selarón zum Ehrenbürger der Stadt. Je bekannter der Fliesen-Künstler wurde, desto mehr Neider gab es: „Hinter vorgehaltener Hand wird gesagt, dass Selarón ermordet wurde“, sagt Andrea Schön.
 „Ein verrückter und einzigartiger Traum, welcher erst an dem Tag meines Todes enden wird“,  hat Selarón   einmal gesagt. Doch sein Kunstwerk wird hoffentlich überdauern.

Von  René Erdbrügger


Info Jorge Selarón:  Künstler tot aufgefunden

Am 10. Januar 2013 wurde  der Maler und Keramiker   Jorge Selarón   (Foto) tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind mysteriös. Seine Leiche habe Verbrennungen aufgewiesen, neben ihm habe eine   Dose Lösungsmittel für Farbe gestanden, teilte die Polizei mit.    Am Tag von Selaróns Tod hatte die Zeitung „O Globo" ein Interview mit dem Künstler veröffentlicht, in dem er berichtete, er werde von einem früheren Mitarbeiter mit dem Tode bedroht. Aber auch über einen Selbstmord wurde spekuliert: „Wir haben damit gerechnet, dass er seinem Leben ein Ende setzt“, zitierte „O Globo" einen Freund des Künstlers. „Er war sehr traurig und sagte, dass er verraten wurde.“ Selarón  wurde 65 Jahre alt.


Sonntag, 8. September 2013

"Feuchtgebiete": Im Reich des Ekels


Hämorrhoiden, Sperma, Blut, dreckige Toilettendeckel:  Das Buch "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche kann man nur lieben oder hassen. Dasselbe gilt für die Verfilmung. Ich habe mich dazu entschieden, Buch und Verfilmung innig zu lieben. David Wnendt ("Die Kriegerin") hat die adäquaten Bilder gefunden. Auch er taucht in das Reich des Ekels ein, erzählt die Geschichte von Helen (Carla Juri grandios), die wegen einer Intimrasur ins Krankenhaus muss,  aber rotzfrech, sensibel, mit subversiven Witz und als buntes Popcon-Coming-of-Age-Stück, das in den besten Momenten an britisches Kino à la Danny Boyle erinnert und dennoch einen eigenen Stil hat. Der beste deutsche Film seit "Das Leben der Anderen."  
Von René Erdbrügger


Dienstag, 3. September 2013

Beluga-Kino: Zwei Preise für Super-Programm

Bund und Land würdigen herausragende Film-Auswahl des Quickborner Beluga-Kinos   / Prämie soll in Soundanlage investiert werden

Quickborn Kleines Kino ganz groß: Der Bund würdigte jetzt das  Quickborner Beluga-Lichtspielhaus  mit einer Prämie von 2500 Euro für das exzellente  Kinder- und Jugendprogramm. Zum neunten Mal in Folge,  und vom Land Schleswig-Holstein gab es ein Preisgeld von 1500 Euro für die anspruchsvolle Auswahl von Kunstfilmen. Den Preis des Landes haben sich die beiden Kinobesitzer Kai Bartels und Bernd Keichel schon in Rendsburg abgeholt,  im Oktober geht es nach Karlsruhe, um  Urkunde und Preisgeld  entgegenzunehmen.
Auf diese beiden Auszeichnungen  ist Kinobetreiber Kai Bartels sehr stolz: „Bei der Preisverleihung frage ich mich immer: Wie hast du es hierher geschafft?“, sagt er.  Gewöhnlich werden nur  Programmkinos wie das Abaton in Hamburg ausgezeichnet. Dort laufen ausschließlich  anspruchsvolle Filme.  Multiplex-Kinos wie das Cinemaxx, die nur  US-Blockbuster spielen, bewerben sich erst gar nicht um einen Preis. Und auch Bartels’ andere Lichtspielhäuser in Uetersen und Buxtehude gehören nicht zu den Preisträgern, obwohl dort ein ähnliches Programm wie in der Quickborn laufe.
„Wir sind kein Filmkunsttheater, sondern  ein Kino, das auch Filmkunst spielt. Es ist für uns eine große Ehre, auf eine Stufe mit den Filmkunsthäusern gestellt zu werden“, sagt Bartels, der drei Jahre lang der Assistent des Programmmachers und Geschäftsführers vom Abaton gewesen ist und dort  Erfahrungen sammeln konnte, wie man erfolgreich ein Kino führt. 
Die Auszeichnung für ein herausragendes Jahresfilmprogramm ist eine Anerkennung und Ermutigung für  Kinobetreiber, sich für ein Filmangebot abseits des Mainstream zu engagieren und eine flächendeckende Kinolandschaft zu fördern.    In Deutschland gibt es laut einer Studie der Filmförderungsanstalt insgesamt 1500Kinos. Auf Bundesebene sind aber für 2011 nur 204 Kinos ausgezeichnet worden – eines davon war  das Beluga in Quickborn.
Doch dabei muss auch das Publikum mitspielen, denn was nützen die schönsten, anspruchsvollen Streifen, wenn die Kinosäle leer bleiben.  Bartels kann auf    Gymnasiasten, Studenten und die  Best Agers, das  Publikum ab 50, rechnen. Letztere trinken gern ein gepflegtes Glas  Rotwein während der Vorstellung und  fachsimpeln  mit Bartels schon an der Kasse übers Kino – echte Cineasten.
 Mit „Ziemlich beste Freunde“ konnte Bartels 2012 sogar einen Kunstfilm zeigen, der auf der ewigen Hitliste des Beluga-Kinos Platz zwei belegt.  „Für Quickborn ist französisches  Kino Filmkunst“, sagt Bartels.  Beim Jugendprogramm trumpfen Klassiker wie „Pippi Langstrumpf“ und  „Pettersson  und Findus“. Legendär seien die Pyjama-Partys für die Kleinen, bei denen schon mal Väter als Begleitung im Schlafanzug erscheinen.
Bartels betont: „Wir gehen mit dem Geld nicht auf Kreuzfahrt.“ Das Preisgeld wollen die beiden Kinobetreiber nun in eine  neue Soundanlage  investieren, damit bei  den heutigen Digital-Filmen auch  den höheren Frequenzen Rechnung getragen werden kann.
Rechtzeitig zum Kinoherbst soll sie fertig sein. „Wir starten zum Endspurt“, sagt Bartels. Ziel ist es, die 100000-Zuschauer-Marke zu knacken. Im vorigen Jahr waren es 92 000 Zuschauer. Im Durchschnitt wäre jeder Quickborner damit 4,6 Mal ins Beluga-Kino gegangen. Ein Rekordergebnis.  Dabei sind die Deutschen eigentlich Kinomuffel:  2010 besuchte  jeder Deutsche nur 1,5 Mal ein Filmtheater. 
Darauf freuen wird uns: „Sein letztes Rennen“ mit
Dieter Hallervorden als Marathon-Man.
Foto: Universum-Film
„Es könnte bei uns klappen“, sagt Bartels zuversichtlich, denn  das Beste kommt noch: Dazu zählen die Filme „R.e.d.  2“, „Die Tribute von Panem“, ein neuer Schweighöfer und ein neuer „Bully“ sowie die  Fortsetzung vom „Hobbit“.  Auch einen deutschen Kunstfilm hat Bartels bereits gebucht: „Sein letztes Rennen“ mit Dieter Hallervorden. Es ist keine Komödie, sondern ein Drama um einen  Übersiebzigjährigen, der den Berlin-Marathon laufen will.  Bartels hat  den hoch emotionalen Film  schon begutachtet  und schwärmt in höchsten Tönen: „Mit das Beste, was ich in diesem Jahr gesehen habe.  Bei den Vorstellungen  sollte man Taschentücher verteilen.“


Von René Erdbrügger

www.beluga-kino.de

Jan Schröter: "Trockenkur“ für Wellensittich

Autor Jan Schröter liest  in der Quickborner Buchhandlung Theophil  aus seinem  neuen saukomischen Roman „Kreisverkehr“ 

Quickborn Ein    Wellensittich ziert   das  Cover   seines  neuen Romans „Kreisverkehr“.  Nicht ohne Grund, denn der Flattermann spielt auch eine kleine Rolle in dem Buch. Nach einer Schaumbad-Bruchlandung  erhält er eine „Trockenkur“ –  im Backofen. Diese Szene  fand der   Münchner Verlag Droemer Knaur aber ein wenig zu dick aufgetragen und wollte sie streichen. Könnte ja jemand nachmachen.   Doch Autor Jan Schröter überzeugte die Lektorin: „Es ist eine wahre Geschichte“, wie er im Anhang erklärt. Und saukomisch obendrein, so wie die ganze turbulente Familienkomödie um einen Hamburger Single-Mann, die  sich Schröter ausgedacht hat.
  Am Donnerstag, 5. September, liest er  in der Quickborner Buchhandlung Theophil, Am Freibad 4 a, aus seinem Roman vor. Es ist der zweite, den der renommierte Verlag  Knaur von ihm veröffentlicht. Bekannt geworden ist Schröter durch seine Hamburg-Krimis („Der Rikschamann“), die bereits Kultstatus haben. 
Der Auftritt  in Quickborn ist für Schröter, der kürzlich von Bad Bramstedt nach  Wrist gezogen ist,  indes ein Heimspiel. Zum dritten Mal kommt er  zu einer Lesung in die Eulenstadt.  Und wieder stellt er selbst zuvor der Presse in der Buchhandlung Theophil seinen Roman vor.
Die Buchhändlerin Selma Theophil hat  Preiselbeerkuchen aufgetischt, es gibt Schnittchen mit Lachs,  Frischkäse und Salami sowie Kaffee.  Eine gemütliche Runde, bei der ein äußerst entspannter Schröter locker aus seinem Schriftstellerleben plaudert und jede Frage ausführlich beantwortet –  ein Autor zum Anfassen.
Der Verlag Knaur sei so zufrieden mit dem  Verkauf der „Mogelpackung“ gewesen, dass er einen weiteren Roman von ihm angefordert habe, erzählt Schröter. Im Mittelpunkt der Handlung des frisch erschienenen Buches steht Linus. Er ist Single, ein Eigenbrötler und arbeitslos. Plötzlich steht seine 15-jährige Tochter Nele  – eine notorische Schulschwänzerin – samt Wellensittich „Chuck“ vor der Haustür. Als auch noch sein Vater Valentin  aus dem Seniorenheim flieht und sich bei Linus einquartiert, ist es mit der Ruhe vorbei.
Fünf Monate hat Schröter in seinem Arbeitszimmer mit Blick auf eine naturgeschützte Wiese an dem Roman geschrieben. Jetzt aber freut er sich umso mehr auf die Lesungen, die ihn kreuz und quer durch Deutschland führen werden.   „Die Lesungen sind das Schönste an meinem Beruf. Es wird nie langweilig. Ich kann Pointen testen.   Je mehr Hörer da sind, desto besser werde ich. Würde ich im Münchner Olympiastadion  lesen, wäre  ich grandios“, sagt Schröter und schmunzelt.
Auf  etwa 50 Auftritte  kommt der Autor pro Jahr. Mit seinem Wohnmobil fährt er von Ort zu Ort.    Am liebsten hält in der Nähe von Friedhöfen. „Da ist es am ruhigsten“, sagt er. Es seien die Lesungen, die das Geld bringen – mehr als die Einnahmen aus dem Buchverkauf, verrät er.   „Ich bin breit  aufgestellt. Das Gesamtpaket  ernährt mich“, sagt Schröter, der auch Drehbücher schreibt.   Schreibblockaden kann er sich deshalb nicht erlauben. Aber die kreative Quelle, aus der Schröter  schöpft, ist noch lange nicht versiegt. Sein nächster Roman  ist bereits in Arbeit.

Von René Erdbrügger
Jan Schröter. Foto: Erdbrügger

Infos: Jan Schröter
geboren am 20. September 1958 in Hamburg
1978 Abitur in Hamburg
1985 Staatsexamen in Hamburg (Sonderpädagogik/Erziehungswissenschaft/Germanistik)
1986-92 selbstständiger Buchhändler
seit 1992 freier Autor
lebt in Wrist (zwischen Barmstedt und Itzehoe)
Drehbücher (Auswahl):  „Alphateam“, „Großstadtrevier“ und „Das Traumschiff“
Romane: „Engel fallen tiefer“ (Kriminalroman, Klönschnack-Verlag, Hamburg 1994), „Wachgeküsst“ (ein „Großstadtrevier“-Roman, VGS-Verlag, Köln 2003),  „Schattengeister“ (ein „Großstadtrevier“-Roman, VGS-Verlag, Köln 2004),  „Der Rikschamann“ (Kriminalroman, Edition Temmen, Bremen 2008), „Freundschaftsdienste“ (Kriminalroman, Edition Temmen, Bremen 2009), „Mogelpackung“ (Roman, Droemer Knaur Verlag, München, 2012), „Kreisverkehr“ (Roman, Droemer Knaur Verlag, München, 2013)






Jeden Donnerstag ist Muttertag

Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter

Quickborn Gaby Petersen- Brinkmann   (45)  hat es nicht leicht: Für sie ist jeden Donnerstag „Muttertag“. Denn an diesem Tag, einmal in der Woche, fährt sie nach Stade zu ihrer verwitweten Mutter (80). Und wie es zwischen Töchtern und Müttern so oft ist: Die Beziehung ist nicht einfach, denn ob  Petersen-Brinkmann will oder nicht: Immer bekommt sie auch eine wöchentliche Ration Lebensrat mit auf den Weg.
Über ihre Erlebnisse mit „Muddi“ hat die Quickbornerin unter dem Pen-Namen Laura Windmann ein urkomisches Buch  geschrieben. Es heißt „Mutti geht es gut – Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter“ (Bastei Lübbe; 8,99 Euro). Das Buch stand wochenlang auf der Spiegel-Taschenbuch-Bestsellerliste. „Darauf bin ich sehr stolz“, sagt sie.   
 „Mit  ihren Ansichten hält meine Mutter  nicht hinterm Berg. Sie will über mein Leben bestimmen und nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch wenn sie uns in Quickborn besucht. Lebenswelten prallen aufeinander“, sagt Petersen-Brinkmann. Wenn sie  sich   zu sehr aufrege, sage ihr Mann zu ihr: „Komm’ wieder runter!“
Gaby Petersen-Brinkmann  in der Quickborner Redaktion. Foto: Erdbrügger
Dann setzt sich Petersen-Brinkmann, die  früher als Verwaltungsfachangestellte im  Arbeitsamt von  Stade gearbeitet hat, an ihren PC und schreibt skurrile und lustige Geschichten über das zwiespältige Mutter-Tocher-Verhältnis. Ob  es ums Kochen geht, den neuen „Shrek“-Film oder den Umgang mit dem I-Pad –  „Muddi“ hat am allen etwas auszusetzen. Das seien schon mal fünf- bis  zehnminütige Monologe.
Was hat denn ihre Mutter über das Buch gesagt? „Sie schwankt zwischen Begeisterung und blankem Entsetzen und sagt zu mir: ‚Das hast Du Dir doch alles nur ausgedacht.‘“ Hat sie aber nicht. Und weil es noch so viel zu erzählen gibt, ist ein weiteres Buch   in Planung. „Der Titel steht noch nicht genau fest. Das Manuskript habe ich aber gerade abgesandt. Nun geht es ins Endlektorat und vielleicht erscheint es doch schon Ende dieses Jahres“, sagt Petersen-Brinkmann.

Von René Erdbrügger

Infos:Die Autorin Gaby Petersen-Brinkmann    wurde 1968 in Stade geboren. Sie hat  ihren  Beruf als Verwaltungsfachangestellte an den Nagel gehängt,  um als Schriftstellerin freiberuflich zu arbeiten. Die Autorin lebt heute mit ihrem Sohn, ihrem ungarischen Ehemann und einem  Hund  in Quickborn-Heide, wo sie sich sehr wohl fühlt.


Montag, 2. September 2013

Auf Blu-ray: Der „Geschmack von Rost und Knochen“

Liebe ist wie
ein Faustschlag

Ein Drama wie ein Faustschlag  ins Gesicht:
 Der „Geschmack von Rost und Knochen“ (Regie Jacques Audiard) ist eine Liebesgeschichte von großer  Intensität:  Der Türsteher  Ali (Matthias Schoenaerts, Foto) verliebt sich in die Wal-Trainerin Stéphanie (Marion Cotillard). Kurze Zeit später verliert sie bei  einem Unfall  ihre  Beine  und ist an den Rollstuhl gefesselt –  beiden kommen  Zweifel an ihrer Liebe. Der beste europäische Kunstfilm seit Jahren, aber was heißt das schon in einer Zeit, in der Filme keine Ereignisse mehr sind.
Bewertung: ***** Herausragend