Sonntag, 23. Dezember 2012

Edel-Thriller von eisiger Schönheit


„Verblendung": Viel besser als die schwedische Verfilmung: Das US-Remake zeigt ein  düsteres Spiegelbild der Gesellschaft

„Verblendung“ – auf solch  einen unspektakulären Titel kann auch nur ein deutscher Verlag kommen. In Amerika und England heißt  Stieg Larssons erster Roman der Millennium-Trilogie sinnlich „The Girl with the Dragon Tattoo“ – „Das Mädchen mit dem Drachen-Tattoo“. Dort hat man sofort erkannt, dass Lisbeth Salander, die wilde Punkerin und geniale Hackerin, die wie eine durchgeknallte Pippi Langstrumpf mit kaputter Seele daherkommt, die heimliche Heldin des Romans ist: sexy und  geheimnisvoll –    so ist sie auf der britischen Hardcover-Ausgabe abgebildet, so hat sie sich dem Leser für immer ins Gedächtnis eingebrannt.
Aber  auch die düstere Stimmung des Plots, in  der  von einer verkommenen schwedischen  Gesellschaft erzählt wird, in der Mord, Vergewaltigung und Korruption zum pervertierten Kodex   der  besseren   Schichten gehört, dürfte David Fincher („Sieben“, „The Social Network“), dem Regisseur mit der Vorliebe für menschliche Abgründe, zum Remake der schwedischen Filmversion von 2009 animiert haben.
 Bullerbü, der Inbegriff für ein idyllisches Schweden, ist  abgebrannt:  „Da steckte viel Saft drin, jede Menge Reibung, eine Unmenge an dramatischen Möglichkeiten“, erklärt Fincher seine Motivation und liefert mit der Neuinterpretation des Stoffes, zu der Steven Zaillian („Schindlers Liste“) das Drehbuch schrieb, eine der  stimmigsten Literatur-Adaptionen  der letzten Jahre ab.  So schlägt die US-Version  den Schweden-Thriller, der in   statischer Fernseh-Ästhetik gedreht wurde,  um Längen, weil sie filmisch eleganter ist und die vielschichtigen Aspekte des Buches herausarbeitet. Finchers  Edel-Thriller ist von eisiger Schönheit: Allein die in blau gehaltenen Bilder, die  symbolisch für die kalten  Seelenlandschaften der Menschen stehen, lassen einen frösteln, während der im Hintergrund  pulsierende elektronische Score  die bedrohliche Atmosphäre auf akustischer Ebene subtil unterstützt.
An der Handlung haben Fincher und Zaillian fast  nichts verändert. Gedreht wurde im winterlichen  Schweden, und in der amerikanischen Original-Version  ist bei der einen oder anderen Figur  ein reizvoller skandinavischer Akzent zu hören. Langsam lässt es Fincher dabei angehen. Er  setzt allein auf den Sog der Geschichte.
Beim Casting liegt das Remake ebenfalls klar vorn –  es ist  eine Traumbesetzung.  Daniel Craig hat sein James-Bond-Image abgelegt. Meist mit Dreitagebart und ein paar Pfund schwerer, spielt er  den mürrischen, promiskuitiven und  investigativen  Wirtschaftsjournalisten Mikael Blomkvist, der seinen Ruf wieder herstellen will, nachdem er wegen übler Nachrede verurteilt wurde. Das hat ihn sein ganzes Vermögen gekostet. Deswegen zögert er nicht lange, als er von dem reichen Industriellen Henrik Vanger (Christopher Plummer)   engagiert wird, dessen Familie eine Nazi-Vergangenheit hat.  Blomkvist soll einen Fall neu aufrollen und herausbekommen, warum Vangers Großnichte vor 40Jahren spurlos verschwand. Schon bald ist der Journalist einem Frauenmörder auf der Spur.
Die Bühne gehört indes Rooney Mara, der „neuen“  Lisbeth Salander, die Blomkvist bei der Recherche mit ihren  außergewöhnlichen  Hackerfähigkeiten  unterstützt. Im Gegensatz zu Noomi Rapace, der schwedischen Salander-Darstellerin,  ist sie bei aller Kaltblütigkeit, die ihr Vergewaltiger und Vormund  zu spüren bekommt,  verletzlicher  – und damit glaubwürdiger. Das gibt Fincher auch die Möglichkeit, die Liebesgeschichte zwischen der Außenseiterin und dem taffen  Reporter  stärker herauszuarbeiten – ohne sie zu sentimentalisieren. Denn der Regisseur erzählt die Story  von Anfang bis zum Ende mit  unbarmherziger Härte.
René Erdbrügger

Bewertung: Sehenswert





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