Sonntag, 23. Dezember 2012

Ein zerbrechlicher Held


 „Skyfall“: Im 23. James-Bond-Abenteuer  muss ein traumatisierter 007 gegen einen gemeingefährlichen Cyber-Terroristen antreten


Ein Königreich für einen Geheimagenten: Wie ein Feldherr nach einer gewonnenen  Schlacht steht James Bond (Daniel Craig, 44), der Rücken dem Betrachter zugekehrt, in einer Szene  vor der  Skyline von London und blickt über die Stadt.   Ein melancholischer, einsamer Kämpfer mit 1299 Todesfällen in 22. Filmen auf seinem Konto. Er gehört einfach zu England  wie die Queen und  der Five O’Clock Tea.
Zum 50. Geburtstag der Action-Reihe kommt  Sam Mendes  („American Beauty“) mit einem großartigen Geschenk zum Kino-Jubiläum:  In dem 23. Bond-Abenteuer „Skyfall“, sensationell  smart und stilvoll gedreht,  gelingt dem Regisseur der  Drahtseilakt,  dem Geheimagenten ihrer Majestät  seine Menschlich- und Sterblichkeit  zurückzugegeben. Ein klarer Bruch mit den bisherigen Konventionen, ohne jedoch den Sockel dieser Filmfigur-Ikone  auch nur annähernd zu beschädigen. Dafür sorgen schon die ästhetischen Nahaufnahmen  von Kameramann  Roger Deakins („No Country For Old Men“), die Craig  mit Drei-Tage-Bart, raspelkurzen Haaren und schickem grauen Retro-Anzug von Tom Ford cool, sexy und überirdisch gut aussehen lassen.

Adrenalin versprühende
Auftaktsequenz

Doch Lichtgestalten  können auch fallen: Der Film-Titel „Skyfall“ wird zwar  mit  „Wolkenbruch“ übersetzt, nimmt aber   auch Bonds Absturz vorweg: In der etwa 15-minütigen Adrenalin   versprühenden Auftaktsequenz –   mit Abstand die dramatischste, die je in einem 007-Streifen zu sehen war –,  einer Nonstop-Verfolgungsjagd durch die Straßen und über die Dächer von Istanbul, endet die Hatz für Bond auf dem   Eisenbahnwagon eines in einen Tunnel fahrenden Zuges, als ihn eine Kugel der unerfahrenen Kollegin Eve (Naomie Harris) trifft.   Der Schurke, den der Geheimagent verfolgte, entkommt. 007 hingegen  stürzt in die Tiefe. Dass der Feuerbefehl über Funk von  M (brummig: Judi Dench), der Chefin des MI 6, kam, gibt der Aktion einen bitteren Beigeschmack: Bonds vermeintlicher „Tod“, ein in Kauf genommener Kollateralschaden.  Very shocking.
Dieser Konflikt wird in den Mittelpunkt der weiteren Handlung gestellt.  Bereits in „Casino Royale“ (2006), dem famosen Bond-Relaunch, in dem  Craig der  bisher hölzernen 007-Figur zum ersten Mal  eine – wenn auch kalte – Seele gibt, wurde schon sein Verhältnis zu M als eine schwierige Sohn-Mutter-Beziehung angedeutet.  Damals ging es um den  uneingeschränkten Gehorsam, nun muss sich Bond fragen, wie weit seine Loyalität zu einer Frau geht, die seinen Tod in Kauf nimmt.  Der Regierungsbeauftragte   Gareth Mallory (Ralph Fiennes) hat die Übermutter längst im Visier.
Die Wiederauferstehung des Geheimagenten, der  sein Trauma in der Ferne mit Drinks und Sex versucht zu kurieren,  ist einem Bombenanschlag  auf den MI 6 geschuldet. Damit ist die  Reihe  in der Post 9/11-Ära angekommen. Mit Bond erhebt sich auch ein Verbrecher:  Silva, eine Art böser Stiefbruder von Bond, um im psychoanalytischen Bild  zu bleiben. Er hat mit M noch ein Hühnchen zu rupfen.  „Mami war sehr böse“, provoziert er Bond.
 Der Spanier Javier Bardem  (kleines Foto, „No Country For Old Men“) spielt diesen gemeingefährlichen Cyber-Terroristen –  gefärbte blonde Haare und  künstliches  Gebiss –   an  der  Grenze zur Parodie  – ein Comic Relief, wie es bei Amerikanern heißt (in der deutschen Synchronfassung sprachlich leider völlig glattgebügelt),   denn sonst bliebe der Humor so trocken wie die von Bond bevorzugten Martinis,  die als Reminiszenz nicht fehlen dürfen.
Während „Casino Royale“  und „Ein Quantum Trost“  (2008) nur nach vorne schauten, erlauben sich Mendes und  Co-Autor John Logan manchmal einen wehmütigen  Blick zurück in die Sean-Connery-Ära. Dabei werden  die alten Bond-Klassiker   auseinandergenommen und versatzstückartig  mit neuen Elementen wieder zusammengesetzt.  So taucht sogar der legendäre silberfarbene Aston Martin DB 5 aus „Goldfinger“  plötzlich auf wie Kai aus der Kiste, und der Titelsong, den die britische   Soul-Diva Adele singt, erinnert an die  swing-getränkten  Bond-Lieder von Shirley Bassey und Nancy Sinatra.
Bei diesen paar Zugeständnissen an jene  Fans, die wieder mehr Retro verlangten, bleibt es dann auch:  Als sich Bond wundert, dass er  für einen Einsatz von einem  blutjungen Q (Ben Whishaw) nur eine  Waffe  und einen Funksender bekommt,  fragt  der Wissenschaftler kess:  „Was haben Sie denn erwartet?  Einen explodierenden Füller?“
 Passé  sind   die  vielen exotischen Postkarten-Schauplätze. Der Fokus liegt  auf dem  grau verhangenen London. Das  Königreich ist in Gefahr.  Schon schwer genug für einen  womöglich alkoholkranken Bond, dessen Hände beim Schießtraining zittern.   Eben mal die Welt retten, das war vorgestern. 
René Erdbrügger

Bewertung: Herausragend







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