Der Amoklauf in den USA überschattet auch die
Deutschlandpremiere von „The Dark Knight Rises“
Weltuntergangsstimmung in
Gotham City: Gerade erst hat ein Junge die amerikanische Nationalhymne
andächtig in
einem Football-Stadion gesungen, da tut sich wenige Augenblicke später
der Boden unter den Füßen der Spieler auf. Die Sportler versinken im
Abgrund. Aus einer Totalen auf die Stadt sehen wir, wie Brücken im
Sekundentakt in die Luft gesprengt werden. Von einem
Stars-and-Stripes-Banner sind nur noch Fetzen übrig. In „The Dark
Knight Rises“, dem Abschluss der „Batman“-Trilogie, setzt der vor Kraft
strotzende Terrorist Bane (Tom Hardy; „Warrior“) einem physisch wie
psychisch angeschlagenen Batman (Christian Bale;
„The Fighter“) mächtig zu. Gotham City scheint dem Untergang geweiht.
Mit solchen apokalyptischen Bildern spielt
Regisseur Christopher Nolan (42, „Inception“), der mit seinem Bruder
Jonathan Nolan auch das Drehbuch schrieb, ganz bewusst mit den latenten
Ängsten eines durch 9/11 traumatisierten Publikums.
Während für die „Batman“-Adaptionen von Tim Burton in den 1980er
Jahren Gotham City als neogotische Metropole architektonisch auf dem
Reißbrett entworfen wurde, wählte Nolan als urbane Drehorte Pittsburgh,
Los Angeles und New York, ohne sie groß zu verfremden.
Die Fiktion als Spiegelbild der realen Welt, in der
Gewalttäter von einem Augenblick zum anderen zuschlagen können und
Chaos auslösen. Dazu hätte es keines Beweises bedurft. Aber wieder
einmal holte die Realität die Fiktion ein: Bei einem
Amoklauf in einem Kino in Aurora, einem Vorort von Denver, wo der neue
„Batman“ gezeigt wurde, starben vergangene Woche zwölf Menschen. Über
das Motiv des Täters herrscht noch Unklarheit. Schon der zweite Teil der
„Batman“-Trilogie war überschattet vom Tod
des Joker-Darstellers Heath Ledger, der im Alter von 28 Jahren an einer
Medikamenten-Überdosis starb.
Verrat, Verrohung, Verwüstung – die bekannten
Zentralmotive aus den vorangegangenen beiden Teilen, „Batman Begins“
(2005) und „The Dark Knight“ (2008), bestimmen auch den düsteren Ton in
„The Dark Knight Rises“, doch Nolan setzt im Vergleich
zu den schon fantastischen Vorgängern an Erzählkunst, Bildgewalt und
Emotionalität noch eins drauf.
Zugegeben: Es ist ein Monster von einem Film, in
dem die Action-Szenen der Handlung allerdings untergeordnet sind. Sein
164 Minuten langes, oft Gänsehaut erzeugendes episches Actiondrama mit
Film-Noir-Elementen, gestochen scharf und atmosphärisch
von Kameramann Wally Phister („Inception) eingefangen, fordert deshalb
auch höchste Aufmerksamkeit. Spektakulär schon die ersten Minuten: In
der Eröffnungssequenz à la James Bond kapert Bane ein Flugzeug, um
einen Atomphysiker zu entführen. Die Maschine
wird in der Luft zerrissen. Von Batman alias Bruce Wayne ist am Anfang
indes nicht viel zu sehen. Langsam spinnt Nolan die erzählerischen
Fäden. Alte, lieb gewonnene Figuren treten auf wie Batmans Butler
Alfred (Michael Caine), Lucius Fox (Morgan Freeman),
der den Fledermausmann wieder mit technischen Gimmicks ausrüstet, und
Commissioner Gordon (Gary Oldman).
Neu dabei sind die mysteriöse, unterkühlte
Millionärin Miranda Tate (Marion Cotillard), der junge, idealistische
Polizist John Blake (Joseph Gordon-Levitt) und Anne Hathaway („Der
Teufel trägt Prada“), die eine betörende wie ungewöhnliche
Interpretation der Catwoman hinlegt: sexy und zickig. Und der
Bösewicht Bane? Der Schauspieler Tom Hardy versucht erst gar nicht, in
die Fußstapfen des 2008 verstorbenen Heath Ledger zu treten, der für
seine Rolle als durchgeknallter Joker von der Kritik
gefeiert wurde und posthum einen Oscar erhielt. Hardy spielt den
Widersacher mit seiner beeindruckenden Physis, der optisch und auch
akustisch wie eine Mischung aus Hannibal Lecter und Darth Vader
daherkommt. Die maulkorbartige Ledermaske auf seinem vernarbten
Gesicht verleiht ihm etwas Animalisches, was dem Subtext der Story
geschuldet ist: Wie eine Ratte lebt Bane mit seinen Schergen in der
Kanalisation von Gotham City, aus der er sich schließlich erhebt, weil
er die Stadt mit einer Atombombe in Schutt und Asche
legen will.
Nolans elegante Inszenierung weckt besonders bei
diesem Feldzug Assoziationen an aktuelle politische und geschichtliche
Ereignisse: Wenn Bane, der sich den Massen als heilsbringender
Anarchist verkauft, zunächst das Finanzsystem lahm
legt, erinnert das an die Occupy-Bewegung, wenn er Tausende von
wütenden Schwerverbrechern aus dem Gefängnis befreit an den Sturm auf
die Bastille. Überhaupt: Nolan spielt fiktiv einen Modellversuch
durch, der zeigt, wie leicht eine demokratische Gesellschaft
ausgehebelt werden kann, wenn Kontrollmechanismen nicht mehr
funktionieren, sei es aus Habgier oder Gleichgültigkeit.
Höchste Zeit also, dass sich der dunkle Ritter
wieder erhebt, wie der Filmtitel es verspricht. Doch Batman/Wayne ist
eine zerrissene, an sich zweifelnde Persönlichkeit, dessen Kampf gegen
das Böse seinen Tribut gefordert hat. Der misanthropische
Milliardär ist ein Wrack und geht am Stock. Nicht einen einzigen
Knorpel hat er mehr in den Knien. So treibt Nolan die Dekonstruktion des
Heldenmythos weiter voran, bevor er Batman nach seiner letzten großen
Schlacht endlich in Rente schickt.
René Erdbrügger
Bewertung: Herausragend
Bewertung: Herausragend
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