Samstag, 9. Januar 2010

Junge, lass den Wolf raus!

 „Wo die wilden Kerle wohnen“

Hamburg Das Bilderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“ von
Maurice Sendak ist ein Klassiker. Seit seinem Erscheinen 1963 hat es
zahlreiche Neuauflagen erlebt. Dabei sind es nur ein paar Seiten mit
wenig Text. Aber die universelle Geschichte um den Jungen Max, der von
zu Hause ausreißt, spricht Kinder wie Erwachsene seit Generationen  an.
Der ehemalige Videoclip-Regisseur Spike Jonez („Being John
Malkovich“) hat den Stoff nun  verfilmt – ohne großes Gedöns,
ohne lästige Effekte und dem Titel gerecht: wild, ungestüm und
anarchisch.  Mit seinem Drehbuchautoren, dem Schriftsteller Dave Eggers,
hat Jonez eng zusammengearbeitet. Herausgekommen ist keine
Eins-zu-eins-Umsetzung, sondern eine (Weiter)-Interpretation und
Adaption, die der heutigen Zeit mit unseren Familien-Problemen  Rechnung
trägt.
Das beginnt schon bei den kleinen Veränderungen des Inhalts: Max (Max
Records) ist ein Scheidungskind. Die Schwester ist kaum daheim. Als
seine Mutter (Catherine Keener)  ihren neuen Freund mit nach Hause
bringt, brennen bei dem sensiblen Jungen alle Sicherungen durch. Er
schlüpft in ein Wolfskostüm und tobt wild durch das Haus.
Die Mutter schickt ihn ohne Abendessen aufs Zimmer. Max läuft fort.
Während seiner Flucht entdeckt er ein kleines Segelboot, mit dem er
zu einer Insel gelangt. Dort wohnen die  „Wilden Kerle“, riesengroße,
zottelige Monster, mit denen man  herrlich kuscheln kann. Max wird zu
ihrem  König.
Die Schnelligkeit, mit der der Junge von einer Welt in die andere
gelangt, ist ein Indiz dafür, dass alles nur in Max‘ Einbildung
geschieht. Seit 1963  sind viele Deutungen über das Buch geschrieben
worden. Einig sind sich alle Autoren darüber, dass die Monster Max‘
verschiedene Persönlichkeiten darstellen. Allerdings ist die Insel auch
ein  Freiraum, wo Max den Wolf raus lassen kann:  Wir sehen ihn toben,
schreien, lachen, jauchzen und mit den Monstern, seinen Spielkameraden,
herumtollen. Später kommen die Stunden, in denen er grübelt, traurig und
melancholisch ist und große Angst vor dem Alleinsein hat. 
Selten hat  ein Film  die  inneren Konflikte und Bedürfnisse von
Kindern  so in kongeniale Bilder und Dialoge umgesetzt. Und damit ruft
er in den Erwachsenen längst vergessene Erinnerungen an ihre eigene
Kindheit wach.  

René Erdbrügger

Bewertung: Herausragend

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