Montag, 31. Dezember 2012

Auch Engel trinken Whisky


„Angel’s Share“ von Regisseur  Ken Loach 


Whiskey und  Sozialromantik:  In „Angel’s Share“ schlägt Regisseur  Ken Loach („Sweet Sixteen“, The Wind That Shakes The Barley“) ein paar neue Töne an. Gewöhnlich trinken seine Helden von der Straße billiges Bier und Schnaps aus dem Supermarkt, um sich voll  dröhnen zu lassen und den trostlosen Alltag zu vergessen. Man denke nur an den Alkoholiker aus „My Name ist Joe“, der nach einem Knastaufenthalt  ein neues Leben anfangen will. Seit fast 50 Jahren ist Loach (76)  der Anwalt der von der Gesellschaft Benachteiligten. Zusammen mit seinem langjährigen Drehbuchautoren Paul Laverty arbeitet er ähnlich wie einst Honoré de Balzac (1799 – 1850) an einer Menschlichen Komödie, nur das der Fokus bei Loach  ausschließlich auf den „working class heros“ liegt, die das auszubaden haben,  was die Mächtigen  verbocken. In den von der Welt nicht bemerkten Schicksalen und Tragödien der Sozialhilfeempfänger, Ausgestoßenen und Säufern wirken die Wehen der großen unbarmherzigen Politik schmerzhaft  nach.
Schon bitter, dass Loach der Stoff für seine oft warmherzigen und  trotzt ernsthafter Thematik immer lebensbejahenden  Filme, deren Rollen wegen der Authentizität größtenteils mit Laiendarstellern besetzt sind,  auch nach einem halben Jahrhundert  nicht ausgeht. Im Gegenteil: Mittlerweile klafft die Schere zwischen Reich und Arm immer mehr auseinander. Das Vereinigte Königreich hat es besonders hart getroffen. 2,685 Millionen Menschen waren Ende 2011 in United Kingdom  ohne Job. Sozialleistungen aber werden gestrichen. Weswegen sich viele Anti-Helden bei Loach  an der Grenze zur Illegalität bewegen.  Der junge Robbie (Paul Brannigan) hat sie längst überschritten. In Glasgow steht er wegen Körperverletzung vor Gericht. Einem Jungen hat er das Auge ausgeschlagen. Doch der Richter waltet Gnade vor Recht. Er verdonnert den hitzigen Burschen zu gemeinnütziger Arbeit. Der Umstand, dass seine Freundin ein Kind von ihm bekommt und der verständnisvolle Bewährungshelfer Harry ihm gut zuredet, lassen den jungen Mann umdenken. Aus Saulus wird Paulus. Er will seine Leben auf die Reihe bekommen. Verantwortung übernehmen. Ein Job muss her. Nur wie und wo?
Als Harry mit Robbie und seinen anderen jungen  Schützlingen eine Destillerie besucht, wo der womöglich teuerste Whiskey  der Welt für eine Million Pfund versteigert werden soll, kommt Robbie eine Idee.  Er will heimlich etwas von dem edlen Tropfen abzapfen und durch billigen Alkohol ersetzen. Mit seiner Loser-Clique, dem Säufer Albert, der Kleptomanin Mo und dem Kleinkriminellen Rhino, heckt er einen tollkühnen Plan aus.  Getarnt in Schottenröcken,  gibt sich das Quartett Infernale  als Vorstand eines Whiskey-Fanclubs aus und mischt sich unter die Bieter, um Ort und Gegebenheiten zu sondieren. Auch ein Hehler, der ihnen das teure Gesöff abkaufen soll, ist schnell gefunden.
 Ab jetzt wechselt der Film  die Tonart: Aus einen rauen Sozialdrama ist eine putzmuntere, spleenige  Ganovenkomödie geworden,  in der aber niemand zu Schaden kommt. „Oceans 11“  lässt von fern grüßen, wen Loach auch seinem ungekünstelten, realistischen Stil treu bleibt: schnörkellose  Aufnahmen, keine schnellen Schnitte oder Verfremdungen.   
Heiligen die Umstände nun die Mittel? Kann das Loach’s Botschaft sein?  Eine Antwort liefert der Filmtitel. Wie die Clique in der Destillerie erfährt, verdunsten etwa zwei Prozent bei der Lagerung des Whiskeys. Dieser Anteil wird  poetisch „Angels‘ s Share“ genannt, der „Anteil der Engel“.  Ein bisschen Schwund, den niemand vermisst. Wohl auch nicht die Reichen, wenn sie einen Teil ihres Vermögens spenden würden. Oder? Einen Seitenhieb kann sie der Regisseur nicht verkneifen:  Der reiche, selbstgefällige Schnösel, der den Whiskey für ein Vermögen ersteigert hat, merkt bei der Trinkprobe überhaupt nicht, dass im Fass nur noch Fusel ist.  
Für Robbie und seine kleine Familie ist das Geld aus dem Coup jedenfalls das Startkapital, um aus ihrem bisherigen Umfeld auszubrechen. Zu den Klängen des Popsongs „I would walk 500 Miles“ von den  „Proclaimers“ fahren die drei  in einem gebrauchten VW-Bus in ihr neues, vielleicht besseres Leben. Für diesen Moment hängt der Himmel voller Geigen. Auf seine alten Tage scheint aus Loach noch ein richtiger Romantiker geworden zu sein.
René Erdbrügger

Bewertung: Sehenswert


Sonntag, 23. Dezember 2012

Ein zerbrechlicher Held


 „Skyfall“: Im 23. James-Bond-Abenteuer  muss ein traumatisierter 007 gegen einen gemeingefährlichen Cyber-Terroristen antreten


Ein Königreich für einen Geheimagenten: Wie ein Feldherr nach einer gewonnenen  Schlacht steht James Bond (Daniel Craig, 44), der Rücken dem Betrachter zugekehrt, in einer Szene  vor der  Skyline von London und blickt über die Stadt.   Ein melancholischer, einsamer Kämpfer mit 1299 Todesfällen in 22. Filmen auf seinem Konto. Er gehört einfach zu England  wie die Queen und  der Five O’Clock Tea.
Zum 50. Geburtstag der Action-Reihe kommt  Sam Mendes  („American Beauty“) mit einem großartigen Geschenk zum Kino-Jubiläum:  In dem 23. Bond-Abenteuer „Skyfall“, sensationell  smart und stilvoll gedreht,  gelingt dem Regisseur der  Drahtseilakt,  dem Geheimagenten ihrer Majestät  seine Menschlich- und Sterblichkeit  zurückzugegeben. Ein klarer Bruch mit den bisherigen Konventionen, ohne jedoch den Sockel dieser Filmfigur-Ikone  auch nur annähernd zu beschädigen. Dafür sorgen schon die ästhetischen Nahaufnahmen  von Kameramann  Roger Deakins („No Country For Old Men“), die Craig  mit Drei-Tage-Bart, raspelkurzen Haaren und schickem grauen Retro-Anzug von Tom Ford cool, sexy und überirdisch gut aussehen lassen.

Adrenalin versprühende
Auftaktsequenz

Doch Lichtgestalten  können auch fallen: Der Film-Titel „Skyfall“ wird zwar  mit  „Wolkenbruch“ übersetzt, nimmt aber   auch Bonds Absturz vorweg: In der etwa 15-minütigen Adrenalin   versprühenden Auftaktsequenz –   mit Abstand die dramatischste, die je in einem 007-Streifen zu sehen war –,  einer Nonstop-Verfolgungsjagd durch die Straßen und über die Dächer von Istanbul, endet die Hatz für Bond auf dem   Eisenbahnwagon eines in einen Tunnel fahrenden Zuges, als ihn eine Kugel der unerfahrenen Kollegin Eve (Naomie Harris) trifft.   Der Schurke, den der Geheimagent verfolgte, entkommt. 007 hingegen  stürzt in die Tiefe. Dass der Feuerbefehl über Funk von  M (brummig: Judi Dench), der Chefin des MI 6, kam, gibt der Aktion einen bitteren Beigeschmack: Bonds vermeintlicher „Tod“, ein in Kauf genommener Kollateralschaden.  Very shocking.
Dieser Konflikt wird in den Mittelpunkt der weiteren Handlung gestellt.  Bereits in „Casino Royale“ (2006), dem famosen Bond-Relaunch, in dem  Craig der  bisher hölzernen 007-Figur zum ersten Mal  eine – wenn auch kalte – Seele gibt, wurde schon sein Verhältnis zu M als eine schwierige Sohn-Mutter-Beziehung angedeutet.  Damals ging es um den  uneingeschränkten Gehorsam, nun muss sich Bond fragen, wie weit seine Loyalität zu einer Frau geht, die seinen Tod in Kauf nimmt.  Der Regierungsbeauftragte   Gareth Mallory (Ralph Fiennes) hat die Übermutter längst im Visier.
Die Wiederauferstehung des Geheimagenten, der  sein Trauma in der Ferne mit Drinks und Sex versucht zu kurieren,  ist einem Bombenanschlag  auf den MI 6 geschuldet. Damit ist die  Reihe  in der Post 9/11-Ära angekommen. Mit Bond erhebt sich auch ein Verbrecher:  Silva, eine Art böser Stiefbruder von Bond, um im psychoanalytischen Bild  zu bleiben. Er hat mit M noch ein Hühnchen zu rupfen.  „Mami war sehr böse“, provoziert er Bond.
 Der Spanier Javier Bardem  (kleines Foto, „No Country For Old Men“) spielt diesen gemeingefährlichen Cyber-Terroristen –  gefärbte blonde Haare und  künstliches  Gebiss –   an  der  Grenze zur Parodie  – ein Comic Relief, wie es bei Amerikanern heißt (in der deutschen Synchronfassung sprachlich leider völlig glattgebügelt),   denn sonst bliebe der Humor so trocken wie die von Bond bevorzugten Martinis,  die als Reminiszenz nicht fehlen dürfen.
Während „Casino Royale“  und „Ein Quantum Trost“  (2008) nur nach vorne schauten, erlauben sich Mendes und  Co-Autor John Logan manchmal einen wehmütigen  Blick zurück in die Sean-Connery-Ära. Dabei werden  die alten Bond-Klassiker   auseinandergenommen und versatzstückartig  mit neuen Elementen wieder zusammengesetzt.  So taucht sogar der legendäre silberfarbene Aston Martin DB 5 aus „Goldfinger“  plötzlich auf wie Kai aus der Kiste, und der Titelsong, den die britische   Soul-Diva Adele singt, erinnert an die  swing-getränkten  Bond-Lieder von Shirley Bassey und Nancy Sinatra.
Bei diesen paar Zugeständnissen an jene  Fans, die wieder mehr Retro verlangten, bleibt es dann auch:  Als sich Bond wundert, dass er  für einen Einsatz von einem  blutjungen Q (Ben Whishaw) nur eine  Waffe  und einen Funksender bekommt,  fragt  der Wissenschaftler kess:  „Was haben Sie denn erwartet?  Einen explodierenden Füller?“
 Passé  sind   die  vielen exotischen Postkarten-Schauplätze. Der Fokus liegt  auf dem  grau verhangenen London. Das  Königreich ist in Gefahr.  Schon schwer genug für einen  womöglich alkoholkranken Bond, dessen Hände beim Schießtraining zittern.   Eben mal die Welt retten, das war vorgestern. 
René Erdbrügger

Bewertung: Herausragend







Alien – wie alles begann


„Prometheus – Dunkle Zeichen“: Regisseur Ridley Scott bringt Licht in das mysteriöse Alien-Universum      / Visuell berauschender Science-Fiction-Horror-Streifen 

Eine schwarze, phallusartige Kreatur jagt eine junge Astronautin (Sigourney Weaver) durch die engen, finsteren  Korridore eines Raumschiffs. In nur einem Satz lässt sich der Inhalt von „Alien“ (1979) zusammenfassen.  Die Kombination von Science-Fiction und Horror, das subtile Spiel aus Schatten und Stille  –   das war damals allerdings neu. Selten war die archaische, kollektive Angst des Publikums vor dem, was da in der  Dunkelheit lauern könnte,  so intensiv im Kino zu spüren.  Ridley Scotts „Alien“ gilt zu Recht als Meilenstein, auch wegen des ungewöhnlichen Designs des Schweizer Künstlers H. R. Giger.  Drei Fortsetzungen von anderen Regisseuren folgten. Doch woher diese furchteinflößenden Außerirdischen kommen, in deren Adern Säure statt Blut fließt, beantworteten auch sie nicht. 
Nun bringt Ridley Scott mit „Prometheus – Dunkle Zeichen“   Licht in das mysteriöse Alien-Universum. Er lässt uns bei der Genese eines der aggressivsten  Monster der Filmgeschichte zuschauen und lüftet das Geheimnis des mysteriösen Space Jockeys aus dem ersten Teil.
In wenigen Einstellungen, denn die Erklärung des heute 74-jährigen britischen Regisseurs, der mit „Blade Runner“ 1982 ein zweites Meisterwerk hinlegte,  es handele sich um kein Prequel,  sondern die Story basiere auf „Alien-DNA,  ist keine Koketterie. Obwohl die Drehbuchautoren  Jon Spaihts und Damon Lindelof („Lost“)    Motive aus dem „Alien“-Klassiker mit aufnehmen, die sich zum Ende hin immer mehr verdichten, geht es zunächst um die Frage nach dem Ursprung des menschlichen Lebens.
Wie das entstanden sein könnte, verrät der auch visuell stilsichere  3 D-Film  schon in den ersten Minuten: Da gleitet die Kamera über eine beeindruckende Felslandschaft und einen reißenden Fluss  hinweg. Auf einem Vorsprung steht ein blau-milchiges Wesen. Der Außerirdische greift ein Gefäß und trinkt daraus. Sein Körper zerfällt, und Teile  fallen  in das Wasser, wo nur noch seine DNA-Stränge überleben.
Die  Science-Fiction lebt von solchen Gedankenspielen:  Wie die Konsequenzen aussehen könnten, wenn der Mensch seinem nicht göttlichen Schöpfer gegenübertritt, auch davon erzählt Scotts philosophischer Weltraum-Thriller – mit warnendem Zeigefinger. Nicht ohne Grund spielt der Film-Titel auf den Titan Prometheus aus der griechischen Mythologie an, der das Feuer vom Himmel stahl und es den Menschen brachte. Doch Göttervater Zeus bestrafte Prometheus  und die Menschheit.
Nach dem Prolog springt die Story in die nahe Zukunft. Die Wissenschaftler Elizabeth Shaw (Noomi Rapace; „Verblendung“) und Charlie Holloway (Logan Marshall-Green; „24“) haben in Höhlen Hinweise darauf gefunden, wo sie die Schöpfer der Menschheit finden können. Die Antwort auf all ihre Fragen erhoffen sie sich auf dem Planeten LV-223 zu finden. Dorthin bringt sie das  Raumschiff Prometheus. Gesponsert hat die Expedition der Wirtschaftsmagnat Peter Weyland (Guy Pearce), der an Bord von der eiskalten Geschäftsfrau Meredith Vickers (Charlize Theron; „Young Adult“)  vertreten wird. Beide verfolgen andere Interessen als die beiden Forscher.
Die Rolle des undurchsichtigen Shakespeare’schen Schurken in der Mannschaft kommt dem  Androiden  David (Michael Fassbender; „X-Men“) zu, der in der einen Minute mitfühlend sein kann  und in der nächsten Sekunde heimtückisch ein Glas Champagner mit einer außerirdischen Substanz kontaminiert, um zu sehen, was sie im Körper eines Menschen anrichtet.
Die Büchse der Pandora ist zu diesem Zeitpunkt schon längst geöffnet: Auf dem Planeten entdeckt die Crew eine Art Pyramide mit einem weit reichenden Höhlensystem, in dem kosmische Gefahren lauern. Dort in den engen Gängen  beschwört  Scott erneut die klaustrophobische Atmosphäre des Originals herauf, und selbst für die berühmte „Chestburster“-Szene, eine Ikone der Filmgeschichte, gibt es ein Äquivalent.  Doch nie beschleicht einen das Gefühl, einen Abklatsch oder billige Versatzstücke  zu sehen.
Episches Erzählen,  ein Plot mit philosophischer Tiefe und  eine betörende Bildästhetik – wie Christopher Nolans „The Dark Knight Rises“ verbindet auch die düstere Space-Opera „Prometheus“ das ambitionierte  Arthouse-Kino mit Elementen des Popcorn-Blockbusters. Mehr davon.

René Erdbrügger  

Bewertung: Herausragend





Götterdämmerung in Gotham City

Der Amoklauf in den USA überschattet auch die Deutschlandpremiere von „The Dark Knight Rises“


Weltuntergangsstimmung in Gotham City:  Gerade erst hat ein Junge die amerikanische Nationalhymne andächtig  in einem Football-Stadion gesungen, da tut sich wenige Augenblicke später der Boden unter den Füßen der Spieler auf. Die Sportler versinken im Abgrund. Aus einer Totalen auf die Stadt sehen wir, wie Brücken im Sekundentakt in die Luft gesprengt werden. Von einem Stars-and-Stripes-Banner sind nur noch Fetzen übrig. In „The Dark Knight Rises“, dem Abschluss der „Batman“-Trilogie, setzt der vor Kraft strotzende  Terrorist Bane (Tom Hardy; „Warrior“)   einem physisch wie psychisch angeschlagenen Batman (Christian Bale; „The Fighter“) mächtig zu. Gotham City scheint dem Untergang geweiht.
Mit solchen apokalyptischen Bildern spielt Regisseur Christopher Nolan (42, „Inception“), der mit seinem Bruder Jonathan Nolan auch das Drehbuch schrieb,  ganz bewusst mit den latenten Ängsten eines durch 9/11 traumatisierten Publikums.  Während  für die „Batman“-Adaptionen von Tim Burton in den 1980er Jahren Gotham City als neogotische Metropole architektonisch auf dem Reißbrett entworfen wurde, wählte Nolan als urbane Drehorte Pittsburgh, Los Angeles und New York, ohne sie groß zu verfremden.
Die Fiktion als Spiegelbild der realen Welt, in der Gewalttäter von einem Augenblick zum anderen zuschlagen können und Chaos auslösen.  Dazu hätte es keines Beweises bedurft. Aber wieder einmal holte die Realität  die Fiktion ein: Bei einem Amoklauf in einem Kino in Aurora, einem Vorort von Denver, wo der neue „Batman“ gezeigt wurde, starben vergangene Woche zwölf Menschen. Über das Motiv des Täters herrscht noch Unklarheit. Schon der zweite Teil der „Batman“-Trilogie  war überschattet vom Tod des Joker-Darstellers Heath Ledger, der im Alter von 28 Jahren an einer Medikamenten-Überdosis starb. 
Verrat, Verrohung, Verwüstung – die bekannten Zentralmotive aus den vorangegangenen beiden Teilen,  „Batman Begins“ (2005)  und „The Dark Knight“ (2008), bestimmen auch den düsteren Ton in „The Dark Knight Rises“, doch  Nolan setzt im Vergleich zu den schon fantastischen Vorgängern  an Erzählkunst,  Bildgewalt und Emotionalität noch  eins drauf.
Zugegeben: Es ist ein Monster von einem Film, in dem die Action-Szenen der Handlung allerdings untergeordnet sind. Sein 164 Minuten langes, oft Gänsehaut erzeugendes episches Actiondrama mit Film-Noir-Elementen,  gestochen scharf und atmosphärisch von Kameramann Wally Phister („Inception) eingefangen, fordert deshalb auch höchste Aufmerksamkeit.  Spektakulär schon die ersten Minuten: In der Eröffnungssequenz  à la James Bond kapert Bane ein Flugzeug, um einen Atomphysiker zu entführen. Die Maschine wird in der Luft zerrissen. Von Batman alias Bruce Wayne  ist am Anfang indes nicht viel zu sehen. Langsam spinnt Nolan die erzählerischen Fäden. Alte, lieb gewonnene  Figuren treten auf wie Batmans Butler Alfred (Michael Caine), Lucius Fox (Morgan Freeman), der den Fledermausmann wieder mit technischen Gimmicks ausrüstet, und Commissioner Gordon (Gary Oldman).
Neu dabei sind die mysteriöse, unterkühlte  Millionärin Miranda Tate (Marion Cotillard), der junge, idealistische Polizist John Blake (Joseph Gordon-Levitt) und Anne Hathaway („Der Teufel trägt Prada“),  die eine betörende wie ungewöhnliche Interpretation der Catwoman hinlegt: sexy und zickig.   Und der Bösewicht Bane?  Der Schauspieler Tom Hardy versucht erst gar nicht, in die Fußstapfen des 2008 verstorbenen Heath Ledger zu treten, der für seine Rolle als durchgeknallter Joker von der Kritik gefeiert wurde und posthum einen Oscar erhielt. Hardy spielt den Widersacher mit seiner beeindruckenden Physis, der optisch und auch akustisch wie  eine Mischung aus Hannibal Lecter und Darth Vader daherkommt. Die maulkorbartige Ledermaske auf seinem vernarbten Gesicht verleiht ihm  etwas Animalisches, was dem Subtext der Story geschuldet ist: Wie eine Ratte lebt Bane mit seinen Schergen in der Kanalisation von Gotham City,  aus der er sich schließlich erhebt, weil er die Stadt mit einer Atombombe in Schutt und Asche legen will.
Nolans elegante Inszenierung weckt besonders bei diesem Feldzug Assoziationen an aktuelle politische  und geschichtliche Ereignisse:  Wenn Bane, der sich den Massen als heilsbringender Anarchist verkauft,  zunächst das Finanzsystem lahm legt, erinnert das an die  Occupy-Bewegung, wenn er Tausende von wütenden Schwerverbrechern aus dem Gefängnis  befreit  an den Sturm auf die Bastille. Überhaupt: Nolan spielt fiktiv  einen Modellversuch  durch, der zeigt, wie  leicht eine demokratische Gesellschaft ausgehebelt werden kann, wenn Kontrollmechanismen nicht mehr funktionieren, sei es aus Habgier oder Gleichgültigkeit.
Höchste Zeit also, dass sich der dunkle Ritter wieder erhebt, wie der Filmtitel es  verspricht.  Doch  Batman/Wayne ist eine zerrissene, an sich zweifelnde Persönlichkeit, dessen Kampf gegen das Böse seinen Tribut gefordert hat.  Der misanthropische Milliardär ist ein Wrack und  geht am Stock. Nicht einen einzigen Knorpel hat er mehr in den Knien. So treibt Nolan die Dekonstruktion des Heldenmythos weiter voran, bevor er Batman nach seiner letzten großen Schlacht endlich in Rente schickt. 
 René Erdbrügger

Bewertung: Herausragend

Edel-Thriller von eisiger Schönheit


„Verblendung": Viel besser als die schwedische Verfilmung: Das US-Remake zeigt ein  düsteres Spiegelbild der Gesellschaft

„Verblendung“ – auf solch  einen unspektakulären Titel kann auch nur ein deutscher Verlag kommen. In Amerika und England heißt  Stieg Larssons erster Roman der Millennium-Trilogie sinnlich „The Girl with the Dragon Tattoo“ – „Das Mädchen mit dem Drachen-Tattoo“. Dort hat man sofort erkannt, dass Lisbeth Salander, die wilde Punkerin und geniale Hackerin, die wie eine durchgeknallte Pippi Langstrumpf mit kaputter Seele daherkommt, die heimliche Heldin des Romans ist: sexy und  geheimnisvoll –    so ist sie auf der britischen Hardcover-Ausgabe abgebildet, so hat sie sich dem Leser für immer ins Gedächtnis eingebrannt.
Aber  auch die düstere Stimmung des Plots, in  der  von einer verkommenen schwedischen  Gesellschaft erzählt wird, in der Mord, Vergewaltigung und Korruption zum pervertierten Kodex   der  besseren   Schichten gehört, dürfte David Fincher („Sieben“, „The Social Network“), dem Regisseur mit der Vorliebe für menschliche Abgründe, zum Remake der schwedischen Filmversion von 2009 animiert haben.
 Bullerbü, der Inbegriff für ein idyllisches Schweden, ist  abgebrannt:  „Da steckte viel Saft drin, jede Menge Reibung, eine Unmenge an dramatischen Möglichkeiten“, erklärt Fincher seine Motivation und liefert mit der Neuinterpretation des Stoffes, zu der Steven Zaillian („Schindlers Liste“) das Drehbuch schrieb, eine der  stimmigsten Literatur-Adaptionen  der letzten Jahre ab.  So schlägt die US-Version  den Schweden-Thriller, der in   statischer Fernseh-Ästhetik gedreht wurde,  um Längen, weil sie filmisch eleganter ist und die vielschichtigen Aspekte des Buches herausarbeitet. Finchers  Edel-Thriller ist von eisiger Schönheit: Allein die in blau gehaltenen Bilder, die  symbolisch für die kalten  Seelenlandschaften der Menschen stehen, lassen einen frösteln, während der im Hintergrund  pulsierende elektronische Score  die bedrohliche Atmosphäre auf akustischer Ebene subtil unterstützt.
An der Handlung haben Fincher und Zaillian fast  nichts verändert. Gedreht wurde im winterlichen  Schweden, und in der amerikanischen Original-Version  ist bei der einen oder anderen Figur  ein reizvoller skandinavischer Akzent zu hören. Langsam lässt es Fincher dabei angehen. Er  setzt allein auf den Sog der Geschichte.
Beim Casting liegt das Remake ebenfalls klar vorn –  es ist  eine Traumbesetzung.  Daniel Craig hat sein James-Bond-Image abgelegt. Meist mit Dreitagebart und ein paar Pfund schwerer, spielt er  den mürrischen, promiskuitiven und  investigativen  Wirtschaftsjournalisten Mikael Blomkvist, der seinen Ruf wieder herstellen will, nachdem er wegen übler Nachrede verurteilt wurde. Das hat ihn sein ganzes Vermögen gekostet. Deswegen zögert er nicht lange, als er von dem reichen Industriellen Henrik Vanger (Christopher Plummer)   engagiert wird, dessen Familie eine Nazi-Vergangenheit hat.  Blomkvist soll einen Fall neu aufrollen und herausbekommen, warum Vangers Großnichte vor 40Jahren spurlos verschwand. Schon bald ist der Journalist einem Frauenmörder auf der Spur.
Die Bühne gehört indes Rooney Mara, der „neuen“  Lisbeth Salander, die Blomkvist bei der Recherche mit ihren  außergewöhnlichen  Hackerfähigkeiten  unterstützt. Im Gegensatz zu Noomi Rapace, der schwedischen Salander-Darstellerin,  ist sie bei aller Kaltblütigkeit, die ihr Vergewaltiger und Vormund  zu spüren bekommt,  verletzlicher  – und damit glaubwürdiger. Das gibt Fincher auch die Möglichkeit, die Liebesgeschichte zwischen der Außenseiterin und dem taffen  Reporter  stärker herauszuarbeiten – ohne sie zu sentimentalisieren. Denn der Regisseur erzählt die Story  von Anfang bis zum Ende mit  unbarmherziger Härte.
René Erdbrügger

Bewertung: Sehenswert