Reiche
Beute: 1975 erblicken „Der weiße Hai“, „Taxi Driver“ und „Die
verlorene Ehre der Katharina Blum" das Licht der Leinwand
Hamburg Eine heiße Sommernacht, eine Strandparty, zu viel Alkohol und ein
bisschen Teeny-Sex, der unweigerlich bestraft wird – das sind die
Zutaten für gängige US-Horror-Filme. Die originäre Blaupause hat
Steven Spielberg in der „Weiße Hai“ bereits 1975 geliefert. Seine
Mär vom blutrünstigen Monster-Hai als großen Spielverderber, der
vor der Küste des Badestädtchens Amity in der Hochsaison sein
Unwesen treibt, spiegelt unter anderem die puristischen Sex-Ängste
der 70er Jahre wider. Die ersten Sequenzen des Films ziehen den
Zuschauer mit in einen Sog des Terrors, nur vergleichbar mit der
Dusch-Szene in „Psycho“.
Die Ära des
New Hollywood
Anfang dieser Dekade liegt das
Hollywood-Kino am Boden: erzählerisch wie kommerziell. Aber
Regisseure wie Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, Martin
Scorcese, um nur einige zu nennen, erobern es sich zurück.
Die Ära des so genannten New-Hollywood-Kinos
gilt als eine der künstlerisch bedeutendsten Phasen des
amerikanischen Films und ist unmittelbarer Vorläufer des
Blockbuster-Kinos. Schon Aristoteles zufolge soll das Drama:
„delectare et prodesse“ sein, also erfreuen und nützen.
Spielbergs „Weißer Hai“ ist ein Beispiel dafür, dass sich
Unterhaltung und Anspruch nicht ausschließen. Wenn die drei Männer
in ihrem kleinen Boot gegen Ende des Films auf See stechen, um dem
Monster den Garaus zu machen, zitiert Spielberg die beiden großen
Klassiker der amerikanischen Literatur: „Moby Dick“ von Herman
Melville und Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Auf
hoher See kommt es zwischen den drei Männern und dem gigantischen
Raubfisch zu einem Kampf auf Leben und Tod. Auch das –
Filmgeschichte.
1975 gehört dem Hollywoodkino: Mit „Der weiße
Hai“, „Einer flog über das Kuckucksnest“, „French Connection“,
„Taxi Driver“, „Barry Lyndon“, „Nashville“ „Hundstage“, „Die drei
Tage des Condor“ und „Die Rocky Horror Picture Show“ beschert uns das Kino einen Klassiker nach dem anderen –
wohlgemerkt in nur zwölf Monaten. Es ist eine Zeit der
Produktivität, von der man heute nur träumen kann, weil in den
großen amerikanischen Filmstudios nur noch auf Nummer sicher
gegangen wird, wofür die unsäglichen Sequels ein Beispiel sind.
Allerdings: Wer neue Filme schauen will, muss ins Kino gehen. Oder
lange warten, bis das Werk mal wieder läuft. Die Dorfkinos gehen
auf Nummer sicher, zeigen an den Wochenenden Matinees für Kinder
und Jugendliche, die sich an japanischen und amerikanischen
Monsterfilmen aus den 50er Jahren erfreuen, weil die Lizenzen
billig sind.
Auch Karl-May-Verfilmungen aus den 1960er Jahren
laufen rauf und runter. Und manchmal, welch Glücksfall, finden
sich Roger-Corman-Perlen im Programm wie „Das Pendel des Todes“
oder „Der Mann mit den Röntgenaugen“.
Dass Filme im besten Fall ein Spiegelbild der
Gesellschaft sind, würde niemand bestreiten. Vietnam (1955 -
1975) und Watergate bestimmen in den 1970er Jahren den politischen
Alltag und haben ihren Einfluss auf das Kino. Die Zerrissenheit
der Psyche wird in vielen Streifen zum Thema.
„You talking to me?“ Dieser Satz, den Martin
Scorsese seiner Filmfigur Travis Bickle (Robert De Niro) in den
Mund legt, hat Filmgeschichte geschrieben. Heute retten Marvels
Superhelden auf der Leinwand die Welt, in „Taxi Driver“ ist es
eben jener Bickle, ein Taxifahrer, der auf seinem Rachefeldzug den
New Yorker Dschungel vom Abschaum befreien will. Dafür bekommt der
psychopathische Racheengel absurderweise das Lob der Presse.
Pessimistischer Blick
auf die Gesellschaft
Der Irrungen und Wirrungen
des Boulevardjournalismus nimmt sich 1975 auch Volker Schlöndorff
in die „Verlorene Ehre der Katharina Blum" an. Die Adaption der
gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll. Die naive Haushälterin
Blum (Angela Winkler) gerät durch einen Zufall ins Visier von
Polizei und Boulevardpresse - der Beginn eines entwürdigenden
Prozesses. Böll und Schlöndorff haben dabei ein Blatt im Auge,
„Die Bildzeitung“, deren fragwürdige Methoden desavouiert werden.
So wie seine amerikanischen Regisseur-Kollegen lässt sich
Schlöndorff von gesellschaftlichen Ereignissen inspirieren. Es ist
ein pessimistischer Blick. Eben typisch für das Kino der 70er
Jahre.René Erdbrügger
(Beitrag zum Kino der 1970er Jahre, erschienen in TIP/TAS)