Samstag, 26. Dezember 2015

Ein Filmklassiker nach dem anderen


Reiche Beute:   1975 erblicken „Der weiße Hai“, „Taxi Driver“ und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" das Licht der Leinwand

Hamburg Eine heiße Sommernacht, eine Strandparty,  zu viel Alkohol und ein bisschen Teeny-Sex, der unweigerlich bestraft wird – das sind die Zutaten für gängige US-Horror-Filme. Die originäre Blaupause hat Steven Spielberg in der „Weiße Hai“ bereits 1975 geliefert. Seine Mär vom blutrünstigen Monster-Hai als großen Spielverderber, der vor der Küste des Badestädtchens  Amity in der Hochsaison sein Unwesen treibt, spiegelt unter anderem die puristischen Sex-Ängste der 70er Jahre wider. Die ersten Sequenzen des Films  ziehen den Zuschauer mit in einen Sog des Terrors, nur vergleichbar mit der Dusch-Szene in „Psycho“. 

Die Ära des
New Hollywood

Anfang dieser Dekade liegt das Hollywood-Kino am Boden: erzählerisch wie kommerziell.  Aber Regisseure wie Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, Martin Scorcese, um nur einige zu nennen,  erobern es sich zurück.
Die Ära des so genannten New-Hollywood-Kinos gilt als eine der künstlerisch bedeutendsten Phasen des amerikanischen Films und ist unmittelbarer Vorläufer des Blockbuster-Kinos. Schon Aristoteles zufolge soll das Drama: „delectare et prodesse“ sein, also  erfreuen und nützen.  Spielbergs „Weißer Hai“ ist ein Beispiel dafür, dass sich Unterhaltung und Anspruch nicht ausschließen. Wenn die drei Männer in ihrem kleinen Boot gegen Ende des Films auf See stechen, um dem Monster den Garaus zu machen, zitiert Spielberg die beiden großen Klassiker der amerikanischen Literatur: „Moby Dick“ von Herman Melville und Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“.   Auf hoher See kommt es zwischen den drei Männern und dem gigantischen Raubfisch zu einem Kampf auf Leben und Tod. Auch das – Filmgeschichte.
1975 gehört dem Hollywoodkino: Mit „Der weiße Hai“, „Einer flog über das Kuckucksnest“, „French Connection“, „Taxi Driver“, „Barry Lyndon“, „Nashville“ „Hundstage“, „Die drei Tage des Condor“  und  „Die Rocky Horror Picture Show“  beschert uns das Kino einen Klassiker nach dem anderen –  wohlgemerkt in nur zwölf Monaten.  Es ist eine Zeit der  Produktivität, von der man heute nur träumen kann, weil in den großen amerikanischen Filmstudios nur noch auf Nummer sicher gegangen wird, wofür die unsäglichen Sequels ein Beispiel sind. Allerdings: Wer neue Filme schauen will, muss ins Kino gehen. Oder lange warten, bis das Werk mal wieder läuft. Die Dorfkinos gehen auf Nummer sicher, zeigen an den Wochenenden Matinees für Kinder und Jugendliche, die sich an japanischen und amerikanischen Monsterfilmen aus den 50er Jahren erfreuen, weil die Lizenzen billig sind. 
Auch Karl-May-Verfilmungen aus den 1960er Jahren laufen rauf und runter. Und manchmal, welch Glücksfall, finden sich Roger-Corman-Perlen im Programm wie „Das Pendel des Todes“ oder „Der Mann mit den Röntgenaugen“.

Dass Filme im besten Fall ein Spiegelbild der Gesellschaft sind, würde niemand bestreiten.  Vietnam (1955 - 1975) und Watergate bestimmen in den 1970er Jahren den politischen Alltag und haben ihren Einfluss auf das Kino. Die Zerrissenheit der Psyche wird in vielen Streifen zum Thema.
„You talking to me?“ Dieser Satz, den Martin Scorsese seiner Filmfigur Travis Bickle (Robert De Niro) in den Mund legt,  hat Filmgeschichte geschrieben.  Heute retten  Marvels Superhelden auf der Leinwand die Welt, in „Taxi Driver“ ist es eben jener Bickle, ein Taxifahrer, der auf seinem Rachefeldzug den New Yorker Dschungel vom Abschaum befreien will. Dafür bekommt der psychopathische Racheengel absurderweise das Lob der Presse.

Pessimistischer Blick
auf die Gesellschaft

Der Irrungen und Wirrungen des Boulevardjournalismus nimmt sich 1975 auch Volker Schlöndorff in die „Verlorene Ehre der Katharina Blum" an. Die Adaption der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll. Die naive Haushälterin Blum (Angela Winkler) gerät durch einen Zufall ins Visier von Polizei  und  Boulevardpresse - der Beginn eines entwürdigenden Prozesses. Böll und Schlöndorff haben dabei ein Blatt im Auge, „Die Bildzeitung“, deren fragwürdige Methoden desavouiert werden.
So wie seine amerikanischen Regisseur-Kollegen lässt sich Schlöndorff von gesellschaftlichen Ereignissen inspirieren. Es ist ein pessimistischer Blick. Eben typisch für das Kino der 70er Jahre.

René Erdbrügger      


(Beitrag zum Kino der 1970er Jahre, erschienen in TIP/TAS)

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