Ridley Scotts Monumental-Bibel-Epos über die Befreiung des Volkes Israel überrascht mit optischer Opulenz und Tiefgang
Nun schlägt Ridley Scott (77, „Alien“;
„Gladiator“) das Bibelkapitel aus dem alten Testament auf: Seine Vision
der Geschichte um Moses, gespielt von Batman-Darsteller Christian Bale,
der die Israeliten ins gelobte Land führte, ist ein
visueller Triumph, der mit der Flucht des auserwählten Volkes vor der
Armee des Pharaos und der Teilung des roten Meers seinen Höhepunkt
erreicht.
Fast eine halbe Stunde dauert der Showdown, der mit
allen Finessen der Computertechnik ein bis dahin nie gesehenes
3D-Spektakel generiert, in dem der ägyptische Herrscher und seine
Soldaten wie bei einem Tsunami von einer Riesenwelle niedergewalzt
werden.
Es ist so, als wollte Scott mit seinen
überbordenden Landschaftspanoramen und Vogelperspektiven die Renaissance
des Monumental-US-Kinos aus den 50er und 60er Jahren einläuten. Dagegen
wirkt die „Noah“-Bibelverfilmung von Darren Aronofsky
aus dem Frühjahr geradezu wie ein Kammerspiel und ästhetisch wenig
aufregend. Erzählerisch wählt Scott den konservativen Weg, indem er
sich chronologisch an den biblischen Plot hält. Er hetzt aber dabei oft
sprunghaft von Szene zu Szene – das Problem vieler
Sandalenfilme.
Es ist das Jahr 1300 vor unserer Zeitrechnung:
Moses, ein Findelkind, und Ramses (Joel Edgerton) wachsen gemeinsam wie
Brüder in der ägyptischen Pharaofamilie auf. Als Ramses seinem
verstorbenen Vater Seti (John Turturro) auf den Thron
folgt und Pharao wird, erfährt Moses von dem hebräischen Gelehrten Nun
(Ben Kingsley), dass er auserwählt ist, die Sklaven von der Jochschaft
der Ägypter zu befreien. Ramses erfährt davon. Der frisch gekürte
Herrscher, immer schon ein wenig eifersüchtig
auf Moses, der Seti mit seinen kämpferischen Fähigkeiten zu Gefallen
wusste, verbannt seinen Stiefbruder daraufhin in die Wüste und schickt
ihm zwei Männer hinterher, die ihn töten sollen. Oder war es vielleicht
Ramses’ Mutter (Sigourney Weaver)?
Doch Moses kann sich ins Exil retten, aus dem er
schließlich zurückkehrt, um zum Aufstand aufzurufen, weil Jahwe nun mal
von ihm verlangt, die Israeliten ins geheiligte Land Kanaan zu führen.
Den Fokus setzen Scott und sein Drehbuch-Team,
darunter Steven Zaillian, Autor des Dramas „Schindlers Liste“, ganz
klar auf die beiden Brüder. Auf der einen Seite der charismatische
Moses, der zu Beginn der Handlung gar nicht an
Gott und Prophezeiungen glaubt, ein Zweifler, dann aber Frau und Kind
verlässt, um seine Leute aus der Sklaverei zu befreien, auf der anderen
Seite Ramses, hin- und hergerissen zwischen Rache und Sorge um seine
Familie. Dabei ist Ramses’ Zwiespalt durchaus
nachzuvollziehen. Gern würde er die Sklaven gehen lassen, aber das sei
nicht produktiv, erklärt Ramses seinem Stiefbruder, als dieser ihn zur
Rede stellt.
In solchen Szenen bekommt das Bibelepos frischen
Wind und schlägt die Brücke zur Gegenwart und zu Debatten über moderne
Arbeitsverhältnisse. Und wenn Gott Moses in Gestalt eines zornigen
Schuljungens erscheint, der keine Diskussionen
zulässt, ist das nicht nur sehr originell, sondern dahinter ist der
Agnostiker Scott zu spüren. Auch die Frage „Welche Fanatiker beten solch
einen Gott an, der sogar Kinder tötet?“, muss sich Moses gefallen
lasen.
In manchen Szenen deutet der Regisseur an, dass die
Erscheinung des Allmächtigen vielleicht doch nur in Moses’ Einbildung
geschieht. Da legt uns Scott, der in einem Interview sagte, der Glaube
sei ihm in seinen Jugendjahren etwas abhandengekommen,
aber all das stecke noch tief in ihm, doch noch ein Bonbon mit einem
bitteren Kern auf den bunten Weihnachtsteller. ****
René Erdbrügger
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