Sick City ist L.A.: Zwei Drogenjunkies, der eine aus gutem Haus, wollen einen Porno verkaufen, in dem der ehemalige Hollywood-Star Sharon Tate in einer Orgie zu sehen ist. Für einen Krimi nicht spannend genug und nach 150 Seiten langatmig. Teilweise auch sehr geschmacklos. **
Donnerstag, 23. Januar 2014
Nachtlektüre (6/2014) Tony O' Neill: "Sick City" (Verlag Heyne)
Sick City ist L.A.: Zwei Drogenjunkies, der eine aus gutem Haus, wollen einen Porno verkaufen, in dem der ehemalige Hollywood-Star Sharon Tate in einer Orgie zu sehen ist. Für einen Krimi nicht spannend genug und nach 150 Seiten langatmig. Teilweise auch sehr geschmacklos. **
Mittwoch, 22. Januar 2014
Nachtlektüre (5/2014), Donald Ray Pollock: "Das Handwerk des Teufels" (Verlag Heyne)
Grimmiges Sittenporträt über eine amerikanische Kleinstadt in den 1950er Jahren. Ein Serienkiller-Pärchen, ein lüsterner Gottesmann, korrupte Bullen, ein Junge, der von seinem Vater gezwungen wird, zwischen Tieropfern zu beten, damit die Mutter ihren Krebs überlebt. Gemordet und geschändet wird im Namen Gottes. Es geht um die Logik des Bösen. Seit "Letzte Ausfahrt Brooklyn" von Hubert Selby habe ich kein so intensives Buch mehr gelesen. Ein moderner, wahrhaftiger Klassiker über ein Amerika, das sich nicht viel verändert hat, geschrieben von einem Autodidakten. *****
Dienstag, 21. Januar 2014
Kurz belichtet
"Captain Phillips" (Regie Paul Greengrass): Nach einer wahren Begebenheit: Somalische Piraten kapern ein Containerschiff. Captain Phillips (Tom Hanks) liefert sich ein Psychoduell mit den Entführern. Im Doku-Stil aufgenommen, routiniert inszeniert. Der Trailer zeigt schon alles, was man bekommt. Das ist allerdings nicht viel. Leider packt mich die Geschichte nicht. Aber der Streifen geht ins Rennen um einen Oscar.
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"Percy Jackson - Im Bann des Zyklopen" (Regie Thor Freudenthal): Uninspirierte Fortsetzung, in
der Percy, der Sohn des Meeresgottes Poseidon, neue Abenteuer erlebt. Im zweiten Teil geht es um die Suche nach dem goldenen Vlies. Leider hatte man nicht genug Geld zur Verfügung, um die ganzen Monster und Götter optisch überzeugend darzustellen. Die Effekte sehen oft aus wie bei einem Videospiel.Vielleicht sogar schlechter. Doch die Rechnung der Produzenten ging auf. Den Kosten von 90 Millionen Dollar stehen etwa 180 Millionen Dollar Einnahmen gegenüber. So werden heute Filme gemacht. Auf dem Reißbrett. Aber will man so etwas sehen? *
"Malavita -The Family" (Regie Luc Besson) Überdrehte Culture-Clash-Komödie über eine US-Mafiafamilie im Zeugenschutzprogramm, die in Frankreich lebt. Mit Robert De Niro (Pate), Michelle Pfeiffer (Ehefrau) und Tommy Lee Jones (FBI-Betreuer) gut besetzt und über weite Strecken unterhaltsam. Als Persiflage aber nur bedingt brauchbar, weil Bessons Inszenierung zu sehr auf Klamauk setzt.
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"Percy Jackson - Im Bann des Zyklopen" (Regie Thor Freudenthal): Uninspirierte Fortsetzung, in
der Percy, der Sohn des Meeresgottes Poseidon, neue Abenteuer erlebt. Im zweiten Teil geht es um die Suche nach dem goldenen Vlies. Leider hatte man nicht genug Geld zur Verfügung, um die ganzen Monster und Götter optisch überzeugend darzustellen. Die Effekte sehen oft aus wie bei einem Videospiel.Vielleicht sogar schlechter. Doch die Rechnung der Produzenten ging auf. Den Kosten von 90 Millionen Dollar stehen etwa 180 Millionen Dollar Einnahmen gegenüber. So werden heute Filme gemacht. Auf dem Reißbrett. Aber will man so etwas sehen? *
"Malavita -The Family" (Regie Luc Besson) Überdrehte Culture-Clash-Komödie über eine US-Mafiafamilie im Zeugenschutzprogramm, die in Frankreich lebt. Mit Robert De Niro (Pate), Michelle Pfeiffer (Ehefrau) und Tommy Lee Jones (FBI-Betreuer) gut besetzt und über weite Strecken unterhaltsam. Als Persiflage aber nur bedingt brauchbar, weil Bessons Inszenierung zu sehr auf Klamauk setzt.
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Montag, 20. Januar 2014
Daydream Believer - „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“
„Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ ist pure Kinomagie
Seit sechzehn Jahren arbeitet der penible Durchschnittstyp im Fotoarchiv bei
dem legendären Magazin „Life!“. Ganz unten, in den Kellerräumen. Mit seinem
übergewichtigen Kollegen.Wenn er sich nicht um seine Mutter kümmert (Shirley
McLaine), versucht er in seiner Freizeit per Online-Partneragentur Kontakt zu
seiner hübschen Kollegin Cheryl (Kristen Wiig) aufzunehmen, die ihn bislang
nicht wahrgenommen hat. Sein Bemühen bleibt selbstverständlich ohne Erfolg.
Plötzlich wird Mitty jäh aus seinen Tagträumen gerissen. Das Magazin soll künftig nur noch online erscheinen, verkündet ein unsympathischer, arroganter Anzugträger, der vom Zeitungmachen und Journalismus zwar keinen blassen Schimmer hat, aber für die letzte Printausgabe verantwortlich ist, während er gleichzeitig entscheidet, wer von der Belegschaft gehen muss oder bleiben darf.
Das Titelblatt der letzten Ausgabe soll ein Foto des legendären Fotografen Sean O'Connell (Sean Penn) schmücken. Doch das Negativ ist verschwunden. Dadurch wird Witty aus seiner Lethargie gerissen. Er macht sich auf die Suche nach dem rastlosen Weltenbummler Sean – und startet in das Abenteuer seines Lebens, das ihn von Grönland nach Island und schließlich bis in das Himalaya-Gebirge führt. Für Walter wird es zu einer Suche nach sich selbst.
Ben Stiller ist Hauptdarsteller und Regisseur und lieferte mit „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ einen definitiven Anwärter auf den Titel "Film des Jahres 2014". Es ist das Remake "Das Doppelleben des Herrn Mitty" aus dem Jahr 1947, der wiederum auf einer Erzählung von James Thurber basiert.
Stiller hat aus dem Stoff etwas ganz Eigenes gezaubert, einen absurd-komischen, melancholischen, zu Herzen gehenden Film, der eine Menge Medienkritik versprüht und den Wahnsinn vieler Verlage, nicht mehr in Printausgaben zu investieren, zur Diskussion stellt. Dazu muss man wissen, dass „Life!“ ein großformatiges US-Hochglanzmagazin war, in dem die besten Fotoreportagen der Welt veröffentlicht wurden.
Bei Stillers Komödie, untermalt mit einem tollen Independent-Musik-Soundtrack, spielen die Bilder eine wichtige Rolle: Zum Niederknien ist die Szene, in der Cheryl in einem von Walters Tagträumen Gitarre spielt und David Bowies Song „Mayor Tom“ singt, was Walter als Aufforderung versteht, trotz Sturms in den startenden Hubschrauber zu springen, der von einem betrunkenen Piloten gesteuert wird. Dazu gehört auch die irre, halsbrecherische Skateboardfahrt auf einer kurvenreichen steilen Straße auf Island. Dies Szene ist jedoch ganz real, denn im Laufe des Films braucht Witty keine Fantasien und Tagträume mehr, er wird zum Helden seines eigenen Lebens. Wie nach einem Frank-Capra-Film geht man gerührt aus dem Kino.
*****
Als sein
Vater stirbt, ist Walter gerade einmal 17. Der Rucksack für die geplante
Weltreise und sein geliebtes Skateboard kommen auf den Dachboden. Der
Irokesenschnitt fällt der Schere zum Opfer. Er nimmt einen Job in einer
Pizzeria an, um die Familie zu ernähren, seine Lebensträume muss er begraben.
Mit 42 ist aus Walter Mitty ein Tagträumer geworden, der sich sein tristes,
langweiliges Leben gern und oft schön träumt. Und immer "bigger than
life".
Auch exzellent: Der Soundtrack zum Film. |
Plötzlich wird Mitty jäh aus seinen Tagträumen gerissen. Das Magazin soll künftig nur noch online erscheinen, verkündet ein unsympathischer, arroganter Anzugträger, der vom Zeitungmachen und Journalismus zwar keinen blassen Schimmer hat, aber für die letzte Printausgabe verantwortlich ist, während er gleichzeitig entscheidet, wer von der Belegschaft gehen muss oder bleiben darf.
Das Titelblatt der letzten Ausgabe soll ein Foto des legendären Fotografen Sean O'Connell (Sean Penn) schmücken. Doch das Negativ ist verschwunden. Dadurch wird Witty aus seiner Lethargie gerissen. Er macht sich auf die Suche nach dem rastlosen Weltenbummler Sean – und startet in das Abenteuer seines Lebens, das ihn von Grönland nach Island und schließlich bis in das Himalaya-Gebirge führt. Für Walter wird es zu einer Suche nach sich selbst.
Ben Stiller ist Hauptdarsteller und Regisseur und lieferte mit „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ einen definitiven Anwärter auf den Titel "Film des Jahres 2014". Es ist das Remake "Das Doppelleben des Herrn Mitty" aus dem Jahr 1947, der wiederum auf einer Erzählung von James Thurber basiert.
Stiller hat aus dem Stoff etwas ganz Eigenes gezaubert, einen absurd-komischen, melancholischen, zu Herzen gehenden Film, der eine Menge Medienkritik versprüht und den Wahnsinn vieler Verlage, nicht mehr in Printausgaben zu investieren, zur Diskussion stellt. Dazu muss man wissen, dass „Life!“ ein großformatiges US-Hochglanzmagazin war, in dem die besten Fotoreportagen der Welt veröffentlicht wurden.
Bei Stillers Komödie, untermalt mit einem tollen Independent-Musik-Soundtrack, spielen die Bilder eine wichtige Rolle: Zum Niederknien ist die Szene, in der Cheryl in einem von Walters Tagträumen Gitarre spielt und David Bowies Song „Mayor Tom“ singt, was Walter als Aufforderung versteht, trotz Sturms in den startenden Hubschrauber zu springen, der von einem betrunkenen Piloten gesteuert wird. Dazu gehört auch die irre, halsbrecherische Skateboardfahrt auf einer kurvenreichen steilen Straße auf Island. Dies Szene ist jedoch ganz real, denn im Laufe des Films braucht Witty keine Fantasien und Tagträume mehr, er wird zum Helden seines eigenen Lebens. Wie nach einem Frank-Capra-Film geht man gerührt aus dem Kino.
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Text: René Erdbrügger
Samstag, 18. Januar 2014
"Gravity" greift nach den Oscars
Oscar-Nominierungen 2014:
Für das Weltraumdrama „Gravity“
und die Kriminalkomödie „American Hustle“ ist der Oscar mit jeweils zehn
Nominierungen zum Greifen nah. Die Academy hat ein gutes Gespür bewiesen, könnten die Filme thematisch, stilistisch und ästhetisch unterschiedlicher nicht sein. Einer der besten Jahrgänge seit langer Zeit. Die Oscars werden am 2.März in Hollywood verliehen.
Gravity
American Hustle
Captain Phillips
Nebraska
Philomena
Dallas Buyers Club
12 Years a Slave
The Wolf of Wall Street
Her
Freitag, 17. Januar 2014
Nachtlektüre (4/2014): Jonathan Moore: "Redheads" (Verlag Samhain, amerikanische Originalausgabe)
Samstag, 11. Januar 2014
Nachtlektüre (3/2014): Sakyo Komatsu: "Der Tag der Auferstehung" (Verlag Heyne)
Mittwoch, 8. Januar 2014
Neuer Besucherrekord im Beluga - 99000 Zuschauer lösten 2013 ein Ticket
Kai Bartels und seine Mitarbeiterin haben gut Lachen. Foto: Erdbrügger |
Quickborn Kai Bartels,
Betreiber des Quickborner Beluga-Kinos, reckt seinen
Daumen nach oben und grinst über das ganze Gesicht: „Der Dezember war
der beste Monat für uns“, sagt er. 14 000 Zuschauer kamen in sein
Lichtspielhaus, durchschnittlich 850 am Tag. „An einem Tag ging die
Schlange von der Kasse durch das Treppenhaus bis
weit auf den Parkplatz. Wir waren räumlich am Limit und hätten
zusätzlich einen aufblasbaren Kinosaal benötigt. Mehr als 100 Besucher
mussten wir wegschicken“, sagt er.
Ein Film sticht dabei aus dem Programm heraus:
„Fack Ju Göhte“. Der provozierende Titel ist absichtlich falsch
geschrieben. Die Komödie ist der Überraschungserfolg der deutschen
Filmbranche mit fast sechs Millionen Zuschauern
bundesweit, davon haben ihn allein im Beluga-Lichtspielhaus 6478
gesehen. Es ist die Geschichte des Kleinkriminellen Zeki Müller,
gespielt von Elyas M'Barek, der aus dem Knast entlassen wird und auf der
Suche nach seiner Beute unfreiwillig als Lehrer verpflichtet
wird. Mit politisch unkorrekten Methoden bekommt er die Schüler einer
Problemklasse in den Griff. Der Streifen, im Kern eine moderne
Pennäler-Klamotte mit derbem Brachial-Humor, ist eigentlich nur für
ein junges Publikum konzipiert, aber: „Fack Ju Göhte“
ist mittlerweile schick geworden und hat alle Altersgruppen erreicht.
Unter den Zuschauern sind auch Wiederholungstäter“, weiß Bartels. Das
liege daran, dass die Komödie auch in den Feuilletons und Kulturteilen
der seriösen Zeitungen gut besprochen wurde.
„Er ist schon auf Platz zwei unserer Hitliste der meistgesehensten
Filme im Beluga-Kino und hat damit ‚ Ziemlich Beste Freunde‘
verdrängt“, erzählt Bartels. Auf dem ersten Rang ist derzeit noch „Ice
Age 4“. Bislang stagnierte die Zahl der Kinobesucher bundesweit.
Einige groß angepriesene, aber mittelprächtige Hollywood-Produktionen
wie „Lone Ranger“ oder „R.I.P.D.“ floppten im Sommer 2013 weltweit.
Auch das gute Wetter machte den Kinobesitzern einen Strich durch die
Rechnung. „Eine Woche lang Regen in den Sommerferien
– das wäre es gewesen“, sagt Bartels. Dann wäre auch sein lang gehegter
Traum in Erfüllung gegangen: das Knacken der 100000 Zuschauer-Marke.
2013 waren es 99 000 Besucher, die im Beluga-Kino
eine Kinokarte kauften. Auch das ein Rekord: Bartels konnte 7000
Zuschauer mehr verbuchen als 2012. „Während die anderen Kinos
durchschnittlich ein Minus von acht Prozent verzeichneten,
haben wir sieben Prozent plus“, hat Bartels ausgerechnet. Das ist aber
nicht nur allein auf das reguläre Kinoprogramm und die Topfilme des
Dezembers wie „Der Hobbit – Smaugs Einöde“ und „Die Eiskönigin“
zurückzuführen. Mit aufsehenerregenden Sonderaktionen
lockt Bartels nicht nur Quickborner, sondern auch Besucher aus den
umliegenden Gemeinden und sogar aus Hamburg über das Jahr hinweg in sein
Kino: Pyjamaparties, Kindergeburtstage mit Pizzabacken,
Live-Übertragungen von Opern auf der großen Leinwand, Mädelsabende
mit sexy Strippern und Vorführungen, die mit einem leckeren Menü samt
Cocktail einhergehen, sind die Renner.
Im März feiert das Beluga-Kino übrigens
zehnjähriges Bestehen. Seinen Traum, die 100 000-Besucher-Marke zu
knacken, verfolgt Bartels weiter. „Das schaffen wir wohl erst 2015.
Das wird ein Super-Kino-Jahr“, sagt er. Mit neuen Teilen
von „Star Wars“, „Die Tribute von Panem“, „The Avengers“, „Fluch der
Karibik“ und auch „Fack Ju Göhte 2“ – Martin Moszkowicz, Vorstand von
Constantin Film, kündigte diese Fortsetzung vor kurzem an.
Text: René
Erdbrügger
Constantin vermeldet am 8. Januar 2014: "FACK JU GÖHTE" ist weiterhin nicht zu
stoppen: Die Schulkomödie konnte gestern den sechs millionsten
Kinozuschauer begrüßen. Damit ist der
Geniestreich von Autor und Regisseur Bora Dagtekin nicht nur der
derzeit erfolgreichste deutsche Kinofilm, sondern wird in Kürze
wahrscheinlich auch zu den 10 erfolgreichsten deutschen
Kinofilmen aller Zeiten zählen.
Samstag, 4. Januar 2014
Donnerstag, 2. Januar 2014
At the opera - "Hänsel und Gretel"
Samstag vor Weihnachten: Während ich mit meiner Familie in
der Hamburger Staatsoper Ruhe und Harmonie suche, liefern sich nur wenige
Kilometer entfernt die Autonomen im Schanzenviertel Straßenkämpfe mit den
Polizisten. Aus dem S-Bahn-Wagen heraus war das Aufgebot der Blauen samt
Wasserwerfer zu sehen. Sei’s drum. Bloß nicht die Stimmung verderben
lassen. Es ist unsere erste Oper. Wir sind festlich gekleidet. Wochen
vorher wurden die Plätze online reserviert. Die Karten für 50 oder 100 Euro?
Obwohl ich ohne zu zögern 100 Dollar für ein limitiertes Buch hinlege, behält
der verhasste Geizhals in mir hier wieder die Oberhand. Klein fangen wir mit
der Kinderoper „Hänsel und Gretel“ an. Ich habe noch Eberhard Hasenfratz‘ Worte
im Ohr, dass es kaum Kinder gibt, die keine klassische Musik mögen. Der Mann
ist Vorsitzender der Quickborner Freunde der Kammermusik, selbst Musiker
und muss es wissen. Auf dem Programmplan: Die Oper von Engelbert Humperdinck
(1854 – 1921). Eine spätromantische Oper , die in den frühen 1890er Jahren
geschrieben worden ist, basierend auf dem Märchen der Gebrüder Grimm. Ein
One-Hit-Wonder für den Komponisten, für uns jedoch eine Einstiegsdroge in
die Welt des Musiktheaters.
Die Staatsoper Hamburg. Foto: Bernd Sterzl/pixelio.de |
„Wahrlich ein Meisterwerk erster Güte, zu dessen glücklicher
Vollendung ich Dir meine innigsten Glückwünsche und meine vollste Bewunderung
zu Füßen lege; das ist seit langer Zeit etwas, was mir imponiert hat. Welch
herzerfrischender Humor, welch köstlich naive Melodik, welche Kunst und
Feinheit in der Behandlung des Orchesters, welche Vollendung in der Gestaltung
des Ganzen, welche blühende Erfindung, welch prachtvolle Polyphonie und alles
originell!“ So schrieb 1893 kein Geringerer als Richard Strauss an Engelbert
Humperdinck über dessen Märchenoper „Hänsel und Gretel“.
Die Inszenierung von Peter Beauvais ist wunderbar
konservativ. Keine U-Bahn-Schächte oder Straßenzüge, in denen zwei Kinder
umherirren. Nö: Das Bühnenbild ist pittoresk. Es gibt einen bezaubernden
Märchenwald, ein putziges kleines Hexenhäuschen, das Sandmännchen und 14
wunderschöne Schutzengel. Wer will, kann Bezüge zu unserer Gegenwart erkennen:
Der Vater von Hänsel und Gretel, ein Trunkenbold, der seine Kinder
arbeiten lässt und die Besen überteuert verkauft, die Mutter eine Hysterikerin,
die darüber jammert, hungern zu müssen, aber übergewichtig ist und ihren
Kindern Prügel androht. Das Prekariat! Hamburg hatte 2013 eine totes Kind zu
betrauern.
Hänsel wird von einer Frau gespielt, die Macher in der
Staatsoper gendern, die Hexe von einem Mann, der Tatsache geschuldet, dass
diesen Part ein Mezzosopran oder Tenor zu singen hat. Einmal fliegt die Hexe
– an Stahlseilen befestigt - durch die Luft – was für ein Spaß. So kenne ich es
von den Musicals im Londoner West End.
Und die Musik. Etwa achteinhalb Minuten lang dauert die
Ouvertüre, ein symphonischer Prolog, der für sich allein stehen kann. Sanft klingen
die Hörner, kein einziges Mal jaulen die Geigen. Niemand verspielt sich –
von meiner Loge aus kann ich den Orchestergraben mit den Musikern sehen,
die vor ihren Partituren sitzen. Ich bin hin und weg, losgelöst, in einer
anderen Zeit, versöhnt und voller Hoffnung für die Welt, weil Menschen mit
ihrer schöpferischen Gabe so viel Schönheit erschaffen können. Für zwei Stunden
an diesem Tag jedenfalls.
Humperdincks Musik ist ganz im Volkslied verwurzelt.
„Suse, liebe Suse“, was raschelt im Stroh“, „Ein Männlein steht im Wald“ und
„Brüderchen, komm tanz mit mir“ dürfte jeder kennen.
Der Germanist in mir liebt das Libretto zu „Hänsel und
Gretel“. Adelheid Wette hat es geschrieben. Alliterationen, Lautmalereien
und Reime, die zu geflügelten Worten wurden. „Mit den Füßchen tapp, tapp, tapp,
mit den Händchen klapp, klapp, klapp“; „Das tolle Tier im Magen hier, das
bellte so, das glaube mir! Ra-la-la-la, ra-la-la-la, Hunger ist ein tolles
Tier“; „Friss Vogel, oder stirb“ und so weiter und so fort. Applaus für die
Aufführung. Ja, das gefällt mir. Sehr sogar. Das Hamburger Bildungsbürgertum
ist begeistert. Meine Familie dito.
Entrückt von der Gegenwart, voller Freude und Zufriedenheit,
holt uns die Realität nach der Aufführung schnell ein. Die Kämpfe im Schanzenviertel
dauern an. Vom Bahnhof Dammtor fährt kein Zug mehr. Der Busverkehr wurde
ebenfalls eingeschränkt. Ich werde sauer. Mir fällt ein, was meine Oma einst
gesagt hat: „Böse Menschen haben keine Lieder“. Vielleicht sollte es
Opern-Besuche auf Rezept
geben.
Text: René Erdbrügger
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