Donnerstag, 9. Oktober 2014

"Gone Girl": Abgründe einer Ehe

Edelthriller, Melodram  und Mediensatire in  einem:  Regisseur David Fincher hat den  Bestseller „Gone Girl“  kongenial verfilmt

„Ehen werden im Himmel geschlossen und in der Hölle gelebt“,  hat einmal die Opernsängerin Maria Callas gesagt. Auch für die Beziehung von   Nick  ( Ben Affleck)   und der attraktiven Blondine Amy  (Rosamund Pike) mag das gelten, obwohl der Thriller „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ den Zuschauer eine lange Zeit darüber im Unklaren lässt, wie es  um das nach außen zunächst makellos wirkende Traumpaar bestellt ist.
Regisseur David Fincher („Sieben“; „Verblendung“)  hat   den gleichnamigen Bestseller   (Scherz-Verlag; 16,99 Euro) der ehemaligen „Entertainment Weekly“-TV-Kritikerin Gillian Flynn –  den   wohl    raffiniertesten  Krimi der vergangenen zehn Jahre  – nach ihrem eigenen, kongenial   verdichteten Drehbuch verfilmt: Herausgekommen ist ein  zwischen doppelbödigem Edelkrimi, düsterem Ehe-Melodram und greller  Mediensatire changierendes Meisterwerk. Es erschüttert den Zuschauer mit  seinem  größten     halluzinatorischen Schockeffekt – von dem  Elektro-Score   des „Nine Inch Nails“-Gründers Trent Reznor   und des Musikers Atticus Ross verstärkt –   bis ins Mark.
Es  ist  der fünfte Hochzeitstag, als   Amy plötzlich verschwindet. Kampf und  Blutspuren  in der Küche lassen den Verdacht aufkommen,  dass  Nick  seine Frau getötet hat.  Der tumb wirkende  Ehemann  beteuert zwar seine Unschuld, verstrickt sich aber immer mehr in ein Netz aus Lügen und Verrat.  Nach und nach  deuten  Indizien  darauf hin, dass Amy Angst vor ihrem Mann hatte. In einer Mall hat  sie sogar eine Waffe gekauft. Dann aber taucht  ein  Tagebuch auf, das auch die  dunklen Geheimnisse  der scheinbar perfekten  Ehefrau ans Licht bringt.  
Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Medienmeute längst ein Urteil gebildet und  Nick vorverurteilt –  angeführt von  der  Moderatorin Ellen Abbott (Missi Pyle),  die in ihrer   auf  bloßen Populismus setzenden   Fernsehsendung eine  Hexenjagd auf den  Ehemann veranstaltet.
Außer der Medienschelte  steht   die grotesk überzeichnete Dekonstruktion einer  modernen Ehe im Mittelpunkt, deren  moralischen Grundfeste sich an den Beziehungen der 50er Jahre zu orientieren scheinen, die jedoch an der Wirklichkeit scheitern.   Das Ehepaar ist nach Missouri gezogen,  die erhofften Karrieren in New York in Zeiten des Medienwandels  kläglich gescheitert.  
Aber auch die kleinen Lügen, Gemeinheiten und Animositäten gegenüber dem Partner, die  sich in eine  Ehe einschleichen können, nimmt Flynn seziererisch  ins Visier,  so dass es einem kalt den Rücken herunterläuft. 
Für die Autorin spielen alle Theater, wie es in dem  Roman heißt. Im Grunde keine neue Idee: Schon der amerikanische Soziologe Erving Goffman  (1922 bis 1982 kommt   zum Schluss, dass sich   alle Menschen eine Fassade schaffen.  Und so scheint es dramaturgisch nur stimmig, dass Buch und Film beide Seiten –  wie in einem Gerichtsprozess – zu Worte kommen lassen, um  die Motivation der   Figuren  zu  enthüllen.   
Der Film übernimmt  dabei die Struktur des Romans, überlässt aber zunächst  Nick den größten Erzählpart.  Amys Tagebucheintragungen, die in der literarischen Vorlage einen großen Teil ausmachen,  wurden gekürzt.  Sie    sind  aus dem Off  zu hören.
Für die Schauspielerin Pike, die bislang immer nur in der zweiten Reihe zu sehen war, dürfte   ihre überzeugende Darstellung  den  Durchbruch  an die Spitze bedeuten.  Auch Affleck ist  in der  Rolle des zunächst  müde wirkenden, aber später aggressiven Ehemanns, dem der Boden unter den Füßen weggerissen wird,  souverän.
Wer den Roman „Gone Girl“,  eine moderne  Pop-Version  von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“,  gelesen hat,  weiß, dass der große Reiz  aus den   zahlreichen Plot-Twists besteht –  alle finden sich auch im Film wieder –      die die Geschichte immer wieder in eine andere Richtung lenken und immer mehr von Nicks und Amys Psyche  offenbaren.    Am Ende sind diese beiden Figuren entblößt – Abgründe tun sich auf.    Nein, Romantiker sollten um Kinos, die „Gone Girl“ zeigen, einen weiten Bogen machen. Alle anderen werden von diesem intelligenten Thriller   begeistert sein. *****

René Erdbrügger



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