Edelthriller, Melodram und
Mediensatire in einem: Regisseur David Fincher hat den Bestseller
„Gone Girl“ kongenial verfilmt
„Ehen werden im Himmel geschlossen und in
der Hölle gelebt“, hat einmal die Opernsängerin
Maria Callas gesagt. Auch für die Beziehung von Nick ( Ben
Affleck) und der attraktiven Blondine Amy (Rosamund Pike) mag das
gelten, obwohl der Thriller „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ den
Zuschauer eine lange Zeit darüber im Unklaren lässt, wie es
um das nach außen zunächst makellos wirkende Traumpaar bestellt ist.
Regisseur David Fincher („Sieben“; „Verblendung“)
hat den gleichnamigen Bestseller (Scherz-Verlag; 16,99 Euro) der
ehemaligen „Entertainment Weekly“-TV-Kritikerin Gillian Flynn – den
wohl raffiniertesten Krimi der vergangenen
zehn Jahre – nach ihrem eigenen, kongenial verdichteten Drehbuch
verfilmt: Herausgekommen ist ein zwischen doppelbödigem Edelkrimi,
düsterem Ehe-Melodram und greller Mediensatire changierendes
Meisterwerk. Es erschüttert den Zuschauer mit seinem größten
halluzinatorischen Schockeffekt – von dem Elektro-Score des „Nine
Inch Nails“-Gründers Trent Reznor und des Musikers Atticus Ross
verstärkt – bis ins Mark.
Es ist der fünfte Hochzeitstag, als Amy
plötzlich verschwindet. Kampf und Blutspuren in der Küche lassen den
Verdacht aufkommen, dass Nick seine Frau getötet hat. Der tumb
wirkende Ehemann beteuert zwar seine Unschuld, verstrickt
sich aber immer mehr in ein Netz aus Lügen und Verrat. Nach und nach
deuten Indizien darauf hin, dass Amy Angst vor ihrem Mann hatte. In
einer Mall hat sie sogar eine Waffe gekauft. Dann aber taucht ein
Tagebuch auf, das auch die dunklen Geheimnisse
der scheinbar perfekten Ehefrau ans Licht bringt.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Medienmeute längst
ein Urteil gebildet und Nick vorverurteilt – angeführt von der
Moderatorin Ellen Abbott (Missi Pyle), die in ihrer auf bloßen
Populismus setzenden Fernsehsendung eine Hexenjagd
auf den Ehemann veranstaltet.
Außer der Medienschelte steht die grotesk
überzeichnete Dekonstruktion einer modernen Ehe im Mittelpunkt, deren
moralischen Grundfeste sich an den Beziehungen der 50er Jahre zu
orientieren scheinen, die jedoch an der Wirklichkeit scheitern.
Das Ehepaar ist nach Missouri gezogen, die erhofften Karrieren in New
York in Zeiten des Medienwandels kläglich gescheitert.
Aber auch die kleinen Lügen, Gemeinheiten und
Animositäten gegenüber dem Partner, die sich in eine Ehe einschleichen
können, nimmt Flynn seziererisch ins Visier, so dass es einem kalt
den Rücken herunterläuft.
Für die Autorin spielen alle Theater, wie es in
dem Roman heißt. Im Grunde keine neue Idee: Schon der amerikanische
Soziologe Erving Goffman (1922 bis 1982 kommt zum Schluss, dass
sich alle Menschen eine Fassade schaffen. Und so
scheint es dramaturgisch nur stimmig, dass Buch und Film beide Seiten
– wie in einem Gerichtsprozess – zu Worte kommen lassen, um die
Motivation der Figuren zu enthüllen.
Der Film übernimmt dabei die Struktur des Romans,
überlässt aber zunächst Nick den größten Erzählpart. Amys
Tagebucheintragungen, die in der literarischen Vorlage einen großen Teil
ausmachen, wurden gekürzt. Sie sind aus dem Off
zu hören.
Für die Schauspielerin Pike, die bislang immer nur
in der zweiten Reihe zu sehen war, dürfte ihre überzeugende
Darstellung den Durchbruch an die Spitze bedeuten. Auch Affleck ist
in der Rolle des zunächst müde wirkenden, aber später
aggressiven Ehemanns, dem der Boden unter den Füßen weggerissen wird,
souverän.
Wer den Roman „Gone Girl“, eine moderne
Pop-Version von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, gelesen hat,
weiß, dass der große Reiz aus den zahlreichen Plot-Twists besteht –
alle finden sich auch im Film wieder – die die Geschichte
immer wieder in eine andere Richtung lenken und immer mehr von Nicks
und Amys Psyche offenbaren. Am Ende sind diese beiden Figuren
entblößt – Abgründe tun sich auf. Nein, Romantiker sollten um Kinos,
die „Gone Girl“ zeigen, einen weiten Bogen machen.
Alle anderen werden von diesem intelligenten Thriller begeistert
sein. *****
René Erdbrügger
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